Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Verdammten der Taiga

Die Verdammten der Taiga

Titel: Die Verdammten der Taiga Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
Vom Netzwerk:
schüttelte den Kessel, der Schnee schmolz schnell, sank zusammen und wurde zu fadem Wasser. »Aber dieser primitive Klumpen liebt Rußland! Ich ließe mich zerreißen für dieses Rußland, in Stücke reißen, bei vollem Verstand. Katja … was für eine herrliche Heimat haben wir! Vom Eismeer bis zum Japanischen Meer, von der Ostsee bis zum Schwarzen Meer … der halbe Himmel dieser Erde gehört uns! Das ist ein Land, wo man tatsächlich gläubig werden könnte … wenn Gott nicht so ein lahmer Hund wäre. Und da singen Sie mir ein Liedchen von weiblichen Sehnsüchten? Katja, jede Laus an mir ist wichtiger – sie ist eine echte russische Laus, die russisches Blut saugt …«
    Das Zelt stand nun, Andreas und Nadeshna schoben den wieder aufjammernden Morotzkij unter die Plane. Die Susskaja holte aus dem Sack ein Stück gebratenes Rentierfleisch, steinhart gefroren, ein Geschenk von Kyrill Jegorowitsch, dem Popen, der ein flüchtiger zaristischer Rittmeister war. Die Schneehasen, die man auf dem Marsch geschossen hatte, hingen wie bizarre rote Bretter an dem Rucksack, den Andreas getragen hatte.
    »Wo wollten Sie hin?« fragte Putkin plötzlich die Susskaja.
    »In die Turkmenische Republik. In Aschchabad habe ich Bekannte … sie hätten mich über die persische Grenze gebracht.« Die Susskaja hatte auf diese Frage gewartet. Sie antwortete deshalb so, als erzähle sie eine gleichgültige Geschichte. Putkin blies durch die Nase wie ein Walroß.
    »Und dann?«
    »Von Persien nach Deutschland ist kein Problem, Putkin.«
    »Also er da.« Putkin zeigte mit dem Daumen nach Andreas, der gerade aus dem Zelt kroch. Dann nahm er das Fleisch aus Katjas Händen und hielt es über das Feuer.
    »Ja, mein lieber Igor Fillipowitsch.«
    »Und Sie glühen nicht aus vor Scham?«
    »Nein. Wenn Sie jemals geliebt haben, Igor Fillipowitsch, könnten Sie so etwas Dummes nicht fragen.«
    »Ein Deutscher! Zum Teufel, gibt es nicht genug Russen?«
    »Liebt man einen Menschen oder seinen Paß?«
    »Das ist eine typisch dämliche Weiberantwort.« Putkin drehte den Fleischklumpen, damit er auftaute, bevor er ihn zum Braten herrichtete. Man konnte es sich leisten, luxuriös zu leben: Kyrill Jegorowitsch hatte ihnen Salz, getrockneten Salbei, geraspelte Zwiebeln und andere getrocknete Gewürze mitgegeben, die vor allem Nadeshna kannte. Mit blankem Erstaunen beobachtete Putkin, wie sich die zierliche Lehrerin mit dem Puppengesicht wandelte, je länger sie in der Taiga herumirrten. Das machte nicht nur die Liebe zu Morotzkij, sondern mit jedem Tag in dieser verschneiten Unendlichkeit von Wald wurde Nadeshna Iwanowna Abramowa ein Quentchen härter, um ein Eckchen kantiger, um einen Atemzug mutiger. Das stand ihr gut … das Engelsreine blieb an ihr, aber wenn sie jetzt zupackte, war es ein fester Griff. Auch betete sie nicht mehr bei jeder Gelegenheit, was vor allem Putkin beruhigte. Sie fühlte sich sogar so stark, Putkin gegen das Schienbein zu treten, als er einmal zu ihr sagte: »Meine liebe Bibelschleuder, was haben Sie eigentlich an Semjon Pawlowitsch? Er eignet sich besser zum Kleiderhaken als zum Bettwärmer. Jeder Finger von mir tut Ihnen mehr Dienst als er im Ganzen.«
    »Sie tritt wie ein wilder Esel«, stöhnte Putkin später, als er sein Schienbein mit Schnee kühlte. »Enorm, wie sie sich entwickelt.«
    Auch jetzt war er wieder aus dem seelischen Gleichgewicht geworfen, nicht durch einen Tritt, sondern durch die Feststellung der Susskaja, er habe noch nie richtig geliebt. Habe ich das? dachte er bedrückt. Diese beiden Weiber damals, dieses Glück, das nachher nur noch Abfall war? Natürlich habe ich sie geliebt, aber verdammt nochmal, es waren Russinnen, und ich habe nie daran gedacht, Rußland zu verlassen. Ist ein einzelner Körper so wichtig, daß man seine geliebte Heimat verrät?
    »Ein Mensch ist nicht nur Körper, Putkin –«, sagte Katja.
    Putkin zuckte zusammen. »Sie werden mir unheimlich, Jekaterina. Ich habe nicht laut gedacht …«
    »Aber Sie sprechen, wie fast alle Männer, mit den Augen. Sie haben mich gemustert, wie ein Pferdekäufer eine Stute. Es war nicht schwer, zu erraten, was Sie denken.«
    Das Fleisch war soweit aufgetaut, daß Putkin es auf einen Stecken spießen und in die zur Seite gekehrte, glühende Asche legen konnte. Sofort zog ein herrlicher Duft durch die Nacht, es brutzelte wie in einer Pfanne, und es war erstaunlich, wie Einsamkeit, Kälte und Trostlosigkeit vergehen, wenn man gebratenes Fleisch

Weitere Kostenlose Bücher