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Die Verfluchten

Die Verfluchten

Titel: Die Verfluchten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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Andrejs Gedanken überschlugen sich. Wenn dieser Mann tatsächlich Ali Jhin gewesen
war, dann bekam die ganze Geschichte eine völlig neue, viel größere
und viel bedrohlichere Dimension und wurde plötzlich unendlich viel
komplizierter. Es war unmöglich, dass er noch lebte. Andrejs
Verstand wollte ihm klar machen, dass niemand diesen Höllensturm
überlebt haben konnte, der den Sklavenhändler und seine Krieger mit
voller Wucht getroffen hatte, aber das war nur die eine Seite.
Auf der anderen Seite wusste er, dass Abu Dun Recht hatte. Und er
hatte das Gefühl, dass trotz allem plötzlich alles einen Sinn ergab
und es einfach nur an ihm lag, dass er diesen Sinn noch nicht erkennen konnte.
»Worauf wartest du?«, zischte Abu Duns Stimme an seinem Ohr.
Andrej deutete zum oberen Ende der Treppe, wo sich eine gewaltige, zweiflügelige Tür befand, die nicht nur überreich mit kostbaren
Einlegearbeiten und goldenen Schnitzereien verziert war, sondern
auch von gleich vier Wächtern in den auffallenden Uniformen der
Palastwache flankiert wurde. »Dann müssen wir eben improvisieren«, sagte Abu Dun. Andrej widersprach zwar nicht, konnte aber ein
Seufzen nur noch mit Mühe unterdrücken. Das, was Abu Dun unter Improvisieren verstand, endete eigentlich stets mit eingeschlagenen
Zähnen und ein paar gebrochenen Knochen, wenn nicht Schlimmerem. Unglücklicherweise hatte er im Moment keine bessere Idee.
Er öffnete die Tür, ergriff Speer und Schild fester und straffte die
Schultern, bevor er losging. Auf der anderen Seite des Hofes hatte
Ali Jhin die Tür zum Palasttor mittlerweile erreicht und schlüpfte
hindurch, ohne auch nur ein Wort mit dem Posten davor gewechselt
zu haben. Andrej wartete, bis sich das schwere Tor hinter ihm geschlossen hatte, dann beschleunigte er seine Schritte noch einmal und
rief laut: »Herr! Ali Jhin! Wartet!«
Das Tor blieb geschlossen, aber zwei der Wachtposten traten Abu
Dun und ihm entgegen, als sie mit weit ausgreifenden Schritten die
Treppe hinaufstürmten.
»Was wollt ihr?«, fragte einer der beiden Männer. »Der Palast ist
für euch…«
»Der Hauptmann schickt uns«, fiel ihm Andrej ins Wort und
schickte ein Stoßgebet zum Himmel, dass der Mann nicht nach dem
Namen des Hauptmanns fragen würde. »Ah Jhin…«, er machte eine
wedelnde Handbewegung zur Tür, »… der Sklavenhändler, hat gerade mit ihm gesprochen. Der Hauptmann hat etwas Wichtiges vergessen.«
Das Misstrauen in den Augen des Mannes wurde nicht stärker,
nahm aber auch nicht annähernd in dem Maße ab, wie Andrej es gerne gesehen hätte. Dann aber, gerade als Andrej zu dem Schluss gekommen war, dass er es jetzt wahrscheinlich ein bisschen übertrieben
hatte, senkte der Wächter seinen Speer und gab den Weg frei.
»Lass sie durch«, gebot er seinen Kameraden weiter oben am Tor.
Unbehelligt erreichten sie die Tür und traten in den Palast. Nach der
fast vollkommenen Dunkelheit draußen war Andrej im ersten Moment beinahe blind, denn die große Halle, in die sie kamen, war von
zahlreichen Kerzen und Öllampen fast taghell erleuchtet. Er registrierte trotzdem, dass sie vollkommen leer war. Es gab nicht nur keine
Wächter, sondern auch kein einziges Möbelstück. Allein die unfassbare Größe dieser ganz aus Marmor, Gold und anderen kostbaren
Materialien erbauten Halle, die vermutlich keinem anderen Zweck
diente, als dem, jedem Besucher den Reichtum und die Macht des
Besitzers dieses Gebäudes vor Augen zu führen, ließ Andrej innehalten. Er wartete zwei oder drei Herzschläge lang ab, bis sich seine
Augen wieder an die veränderten Lichtverhältnisse gewöhnt hatten,
bevor er weiterging.
Der Mann, den sie verfolgten, war längst verschwunden, doch sie
konnten seine Schritte irgendwo oben am Ende der gewaltigen Marmortreppe hören, die in die oberen Stockwerke des Palastes führte.
Nebeneinander stürmten sie die Stufen hinauf und liefen prompt einer Wache in die Arme, die auf dem ersten Treppenabsatz stand.
Anders, als Andrej erwartet hatte, wirkte der Mann weder übermüdet
noch nachlässig, sondern ganz im Gegenteil hellwach. Er sah sie
zwar nicht misstrauisch an, aber ganz eindeutig verärgert.
»Was sucht ihr hier?«, fragte er übellaunig. »Und wer hat euch erlaubt, zu rennen und mitten in der Nacht einen solchen Lärm zu machen? Wer seid ihr überhaupt?«
»Wir müssen mit dem Sklavenhändler sprechen«, sagte Andrej
rasch. Er versuchte, einen Blick an dem Mann vorbei in den langen

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