Die Verfluchten
Flur zu werfen, hinter dem Ali Jhins Schritte genau in diesem Moment verklangen, aber der Posten vertrat ihm den Weg und runzelte
nun die Stirn.
»Was für ein Sklavenhändler?«, raunzte er. »Wer seid ihr überhaupt
und wer hat euch eingelassen?«
»Hauptmann Arslan schickt uns«, sagte Abu Dun, bevor Andrej
antworten konnte.
»Arslan? Wer soll das sein?«, erwiderte der Posten. Allmählich
glomm doch so etwas wie Misstrauen in seinen dunklen Augen auf.
Auch der Blick, mit dem er Abu Dun - genauer gesagt, seine viel zu
kleine Uniform und den lächerlich kurzen Mantel - musterte, gefiel
Andrej überhaupt nicht.
»Er ist Hauptmann der Stadtwache«, antwortete Abu Dun.
»Wir haben ihn draußen getroffen, als wir auf Patrouille waren. Es
hat einen Zwischenfall auf dem Sklavenmarkt gegeben. Ali Jhin - der
Mann, der gerade vorbeigekommen ist - muss davon erfahren, bevor
er zum Emir geht.«
»Wovon?«, fragte der Posten misstrauisch.
»Von etwas, was er Emir Faruk mitteilen will und was nicht der
Wahrheit entspricht«, erwiderte Abu Dun. »Willst du uns noch länger aufhalten und Faruk dann selbst erklären, dass die neue Sklavin,
die er erst heute für seinen Harem gekauft hat, eine Assassine ist?«
»Eine…« Der Posten riss entsetzt die Augen auf.
»Ja«, sagte Abu Dun. »Also, wohin war der Sklavenhändler unterwegs?«
»Zum Emir«, brummte der Wächter. »Aber…«
»Und wo finden wir ihn?«, unterbrach ihn Abu Dun. »Wir kennen
uns in diesem Teil des Palastes nicht aus, wie du weißt.«
»Er ist in seinem Harem, aber dort dürft ihr…«, begann der Wächter, aber er kam nicht weiter. Abu Dun versetzte ihm einen Fausthieb
unters Kinn, der ihn von den Füßen riss, fing ihn aber aus der gleichen Bewegung heraus auf, bevor er stürzen und dabei möglicherweise verräterischen Lärm verursachen konnte. Behutsam lehnte er
ihn mit Kopf und Schultern gegen die Wand und tastete mit zwei
Fingern nach seiner Halsschlagader, wie um sich davon zu überzeugen, dass er tatsächlich noch lebte.
»Er wird eine ganze Zeit lang schlafen«, sagte er.
Andrej klatschte ihm spöttisch und leise Beifall. »Allmählich beginne ich zu begreifen, was du unter dem Wort unauffällig verstehst.
Warum schlagen wir nicht gleich einen Gong oder suchen uns eine
Posaune, um Alarm zu blasen?« Seine Stimme wurde eine Spur
schärfer. »Warum hast du den Kerl nicht wenigstens gefragt, wo der
Harem ist?«
»Weil er es uns sowieso nicht gesagt hätte«, antwortete Abu Dun
knapp und stand auf. »Wollen wir uns noch ein bisschen streiten,
oder versuchen wir, Ali Jhin zu finden?«
Er wartete Andrejs Antwort nicht ab, sondern eilte mit schnellen
Schritten los, sodass Andrej gar keine andere Wahl hatte, als ihm zu
folgen. So verärgert er über Abu Duns vermeintliche Unbeherrschtheit auch war, musste er im Stillen doch zugeben, dass der Nubier
wahrscheinlich Recht hatte. Sie trugen die Uniformen von einfachen
Soldaten, die hier im inneren Teil des Palastes offensichtlich nichts
zu suchen hatten. Allein die barsche, fast unfreundliche Art, auf die
der Mann sie empfangen hatte, machte ihm klar, dass sie nicht damit
rechnen konnten, einfach in Ruhe gelassen zu werden. Womit sich
Andrejs Hoffnung, dass niemand sie ansprechen würde, während sie
nach den Frauengemächern suchten, sich nicht erfüllte. Die einzige
Spur, die ihnen jetzt noch blieb, war Ali Jhin.
Immerhin kam ihnen die späte Stunde zugute. Überall im Palast
brannte zwar auch jetzt noch Licht, und sie hörten entfernte Schritte
und Stimmen, doch zumindest auf dem ersten Stück ihres Weges
begegnete ihnen niemand. Und der Gang, in den der Sklavenhändler
abgebogen war, führte nur in eine Richtung. Schon nach wenigen
Augenblicken hörte Andrej weit vor sich dessen schnelle, schwere
Schritte. Sie folgten dem Geräusch. Ein- oder zweimal mussten sie
sich vor anderen Bewohnern des Palastes verbergen, die ihnen entgegenkamen, doch ihr scharfes Gehör warnte sie jedes Mal rechtzeitig, sodass sie nicht Gefahr liefen, entdeckt zu werden. Schließlich
musste Andrej sein Tempo zurücknehmen, um nicht zu dicht zu Ali
Jhin aufzuschließen.
Sie mussten den Palast schon zu einem Gutteil durchquert haben.
Andrej hatte nicht einmal eine vage Vorstellung von der wirklichen
Größe und Komplexität dieses Gebäudes, doch seine Unruhe nahm
weiter zu. Für seinen Geschmack hielten sie sich schon viel zu lange
hier drinnen auf. Es war nur noch eine Frage der Zeit, bis jemand den
Weitere Kostenlose Bücher