Die Verfluchten
stürmten. Andrej schritt noch
einmal schneller aus, ging bis zur Mitte des Hofes und drehte sich
dann um. So, wie er dastand, direkt im silbernen Licht des Mondes
und der Sterne, konnten sie ihn genauer sehen, und vor allem mussten sie nun bemerken, dass er keine Waffen hatte und allein war.
Genau, wie er es erwartet und gehofft hatte, stürmten die beiden
Gardisten auf den Hof und blieben dicht hinter dem Eingang wieder
stehen. Der kleinere von ihnen senkte nervös seinen Speer, sodass er
nun ungefähr in Andrejs Richtung deutete, der größere legte die
Hand auf den Schwertgriff und zog die Waffe halb aus der Scheide.
Andrej konnte ihr Misstrauen spüren, als sie sich hastig umsahen und
versuchten, die Dunkelheit mit Blicken zu durchdringen.
»Was hast du gesehen?«, fragte der Soldat. »Was wolltest du uns
zeigen? Sprich schon!«
Abu Dun, der sich trotz seiner Größe vollkommen lautlos hinter sie
geschoben hatte, breitete die Arme aus und sagte: »Mich.«
Erschrocken fuhren die beiden Männer herum, und Abu Dun griff
zu und schlug ihre Köpfe so hart zusammen, dass sie auf der Stelle
das Bewusstsein verloren. Den Größeren der beiden fing er auf, bevor er stürzen konnte, der andere aber entglitt seinen Fingern und fiel
mit weithin hörbarem Waffengeklirr zu Boden.
Andrej hielt instinktiv den Atem an und lauschte zu dem offen stehenden Fenster im ersten Stockwerk hinauf. Nichts geschah. Die
Geräusche der Schlafenden dort oben änderten sich nicht.
»Schnell jetzt«, zischte er, während er rasch zu Abu Dun und den
beiden bewusstlosen Männern hineilte. Rasch und so leise sie konnten, nahmen sie den Soldaten Helme und Waffen ab, entledigten sich
anschließend ihrer Kleidung und benutzten die vorbereiteten Stoffstreifen, die Andrej aus seinem eigenen Mantel gerissen hatte, um sie
zu fesseln und zu knebeln. Anschließend schleiften sie sie in die
dunkelste Ecke des Hofes, wo man sie ganz bestimmt erst nach Sonnenaufgang entdecken würde. Das alles barg natürlich immer noch
das Risiko, dass man die Männer rein zufällig fand, was Andrej aber
für vertretbar hielt. Die Sonne würde in frühestens drei oder vier
Stunden aufgehen, und bis dahin mussten sie den Palast und nach
Möglichkeit die Stadt verlassen haben. Auch in dieser Verkleidung -
von der er noch nicht einmal ganz überzeugt war - konnten sie es
sich unmöglich leisten, stundenlang durch den Palast zu schleichen.
Sie würden Meruhe schnell finden und befreien müssen.
»Ich halte es immer noch für Wahnsinn«, knurrte Abu Dun, während er sich widerstrebend von seinem geliebten Turban trennte und
stattdessen versuchte, den kupferfarbenen Helm des größeren der
beiden Soldaten aufzusetzen. Er passte nicht. Abu Dun machte ein
ärgerliches Gesicht, brach ihn dann ohne sichtbare Anstrengung an
der Naht auf und bog ihn so lange auseinander, bis er ihn wenigstens
halbwegs über seinen riesigen kahlen Schädel schieben konnte. Das
Ergebnis sah einigermaßen lächerlich aus, würde seinen Zweck aber
erfüllen, solange ihnen niemand zu nahe kam.
»Ich auch«, erwiderte Andrej. »Gerade deshalb glaube ich ja, dass
es funktionieren könnte.«
Abu Dun starrte ihn noch einmal finster an, dann schwang er sich
den Mantel des Soldaten um die Schultern und befestigte den runden
Schild an seinem linken Arm. Der Rest seiner Verkleidung wirkte
kaum weniger lächerlich als der Helm. Andrej relativierte seine Einschätzung. Abu Duns Aufmachung würde allerhöchstens einem
flüchtigen Hinsehen standhalten. Der Soldat war tatsächlich fast so
groß gewesen wie Abu Dun, aber eben nur fast. Der Nubier sah aus
wie ein Erwachsener, der versucht hatte, die Kleider eines Halbwüchsigen anzulegen.
Bevor er den Anblick weiter vertiefen und ihm womöglich noch
Bedenken kommen konnten, zog sich auch Andrej rasch zu Ende an,
ergriff Schild und Speer des Soldaten und trat abermals auf die Straße hinaus. Sie lag leer und ausgestorben vor ihnen, so wie vor wenigen Minuten, dennoch nutzte er die Augenblicke, die vergingen, bis
ihm endlich auch Abu Dun folgte, um noch einmal mit voller Konzentration zu lauschen. Aber er hörte kein verdächtiges Geräusch.
Nebeneinander wandten sie sich um und gingen auf das Tor der Palastmauer zu. Abu Dun ließ die Schultern hängen und ging gebückt,
ohne dass es übermäßig auffiel, und auch Andrej nahm perfekt die
Haltung eines Mannes an, der versucht, gegen die Müdigkeit anzukämpfen, ohne dass es ihm
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