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Die Verfluchten

Die Verfluchten

Titel: Die Verfluchten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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tun?«
Abu Dun atmete hörbar ein. »Ich glaube, sie gehören der Sippe derer an, die mich damals verschleppt haben. Die, die meine ganze Familie ausgelöscht und mein Heimatdorf zerstört haben.« Er machte
sich - jetzt allerdings fast sanft - nun doch los und ballte die Hände
so fest zu Fäusten, dass Andrej das Knacken seiner Gelenke hören
konnte.
»Aber du hast mir auch erzählt, dass du den Mann, der den Überfall
auf dein Dorf angeführt hat, aufgespürt und umgebracht hast.«
»Ja, und ich habe sein Schiff genommen und bin selbst Sklavenhändler geworden«, bestätigte Abu Dun. »Aber ich habe dir nie erzählt, warum ich es geworden bin.«
»Weil man auf diesem Wege schnell und leicht zu großen Reichtümern gelangen kann?«, fragte Andrej in bewusst ironischem Ton.
Abu Dun blieb jedoch ernst, und als er seinen Blick endlich von der
weiterziehenden Sklavenkarawane losriss und sich wieder zu Andrej
umwandte, da las er in den Augen des Nubiers keinen Zorn, sondern
nur eine Mischung aus Trauer und einem uralten Schmerz, der niemals ganz verheilt war.
»Nein«, sagte er ernst. »Dieser Mann, dessen Leben und dessen
Schiff ich genommen habe, gehörte zu einer mächtigen Organisation
von Sklavenhändlern in der Libyschen Wüste, deren Einfluss weit
bis nach Nubien, Ägypten und sogar bis in die Ausläufer der Sahara
reicht, wo sie sich gelegentlich mit den Blaukitteln, den Tuareg, herumschlagen. Es gibt sie seit Jahrhunderten. Sie sind so alt wie dieses
Land und so hartnäckig und heimtückisch wie eine Krankheit, die
man nicht loswird. Niemand weiß genau, wer sie sind. Niemand
weiß, wo sie herkommen und wohin sie verschwinden. Ich habe
mich ihnen nur angeschlossen, weil ich herausfinden wollte, wer sie
wirklich sind.«
»Und hast du es erfahren?«, fragte Andrej.
Abu Dun schüttelte kaum wahrnehmbar den Kopf. »Nein. Wäre das
Geheimnis so leicht zu lösen, hätte es längst jemand getan. Immer
wieder haben Emire und ihre Kriegsfürsten in der Vergangenheit
versucht, dieser Plage Herr zu werden. Sie haben Heere losgeschickt,
um nach den Sklavenhändlern zu suchen, und mehr als eines ihrer
Nester ausgeräuchert. Aber sie konnten sie niemals völlig ausrotten.«
»Und diese Kleinigkeit willst du jetzt ganz allein erledigen?«, erkundigte sich Andrej.
Abu Dun ignorierte seine Frage. »Diese alte Festung muss einer ihrer Stützpunkte sein. Vielleicht finde ich dort eine Spur, die mich zu
denen führt, die dahinterstecken.«
Andrej seufzte tief. Einen Moment lang wusste er nicht, was er sagen sollte. Er konnte Abu Dun verstehen. Der Schmerz, den er in
seinen Augen gesehen hatte, war echt. Auch in seiner Vergangenheit
gab es ein Ereignis, das er nie wieder vergessen würde und das auf
seiner Seele eine Wunde hinterlassen hatte, die niemals ganz aufgehört hatte zu schwären. Aber das da vorn war eine ganze Armee.
»Selbst, wenn du Recht hast, Abu Dun«, sagte er, so sanft, wie er
nur konnte. »Es ist lange her. Keiner von denen, die für das verantwortlich waren, was dir angetan wurde, ist heute noch am Leben.«
»Und?«, schnappte Abu Dun. »Macht es das besser?« Er schüttelte
wütend den Kopf. »Ich verlange nicht von dir, dass du mich begleitest! Wahrscheinlich hast du Recht, und es ist Wahnsinn und Selbstmord in einem, aber ich kann nicht anders. Als ich damals im Bauch
dieses Piratenseglers in Ketten lag, da habe ich mir geschworen, dass
ich diese Pest ausrotten werde. Es ist lange her. So lange, dass ich es
fast schon vergessen hatte. Aber ich habe es geschworen, und ich
werde diesen Schwur halten.«
Andrej sagte nichts mehr. Es waren nicht Abu Duns Worte, sondern
die Art, in der er sie ausgesprochen hatte, die ihn schweigen ließen.
Er fragte sich, was er tun würde, böte sich ihm die Gelegenheit, sich
an denen zu rächen, die ihm seine Familie und auch Maria genommen hatten, aber im Grunde hatte er diese Frage bereits beantwortet.
Vor langer Zeit.
    Die Seite der Festung, der sich die Karawane näherte, schien sich in
wesentlich besserem Zustand zu befinden als die, auf die Abu Dun
und er vorhin von der Höhe des Dünenkammes herabgesehen hatten.
In der Nacht wirkten alle Linien und Kanten immer noch sonderbar
rund, wie glatt geschliffen. Die wuchtigen Türme, die die vier Ecken
des Bauwerkes bildeten, waren schon vor langer Zeit eingestürzt, und
ihre zerbröckelnden Reste ragten wie faulende Drachenzähne in den
Himmel. Der rote Widerschein zahlreicher Feuer ließ das

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