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Die Verfluchten

Die Verfluchten

Titel: Die Verfluchten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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in diesem Moment regte sich Seth
stöhnend, und sie fuhr erneut zusammen. »Später«, sagte sie hastig.
»Jetzt müssen wir weg! Schnell!«
Wie um ihren Worten noch mehr Gewicht zu verleihen, stöhnte
Seth noch einmal und lauter. Abu Dun maß ihn mit einem verächtlichen Blick, dann aber (und in deutlich respektvollerem Abstand)
ging auch er an Seth vorbei und warf zugleich einen prüfenden Blick
in die Richtung, aus der Andrej und er gekommen waren. Der Sims,
über den sie den Raum betreten hatten, war zu einem Großteil hinter
ihnen zusammengebrochen. Andrej hätte sich dennoch zugetraut, die
fünf oder sechs Meter an der Wand hinaufzuklettern, aber er war
nicht sicher, ob das morsche Mauerwerk dieser Belastung tatsächlich
standgehalten hätte; und noch viel weniger, ob Seth ihnen die nötige
Zeit lassen würde.
»Folgt mir«, sagte Meruhe. Gleichzeitig fuhr sie herum und eilte
mit weit ausholenden Schritten durch das Gewirr aus Stein, Trümmern und zerborstenen Statuen und Säulen vor ihnen. Andrej folgte
ihr in geringem Abstand, nutzte aber die Zeit, die sie brauchten, um
den Ausgang zu erreichen, um sich mit einer Mischung aus Neugier,
Erleichterung, aber auch Enttäuschung noch einmal umzusehen. Das
Schmuckstück, das Meruhe vom Altar genommen hatte, war nicht
das einzige. Tatsächlich musste es sich bei diesem Raum um eine Art
Schatzkammer gehandelt haben, auch, wenn sie nicht unbedingt vor
Gold und Edelsteinen überquoll. Hier und da schimmerte es noch
golden oder auch silbern zwischen Steinen und Schutt hervor, und
einmal stieß er mit dem Fuß gegen etwas Metallisches, das mit einem
hellen Klingen davonrollte.
Seine Enttäuschung galt jedoch nicht den (wenn auch zweifellos
gewaltigen) Reichtümern, die sie hier zurücklassen mussten. Reichtümer hatten ihn nie interessiert. Obwohl es Abu Dun und ihm ein
Leichtes gewesen wäre, im Laufe ihres langen Lebens ein Vermögen
anzuhäufen, hatten sie es niemals auch nur versucht, sondern waren
ganz im Gegenteil die meiste Zeit so gut wie mittellos gewesen.
Wenn nicht sie, wer dann sollte wissen, wie wenig materieller Reichtum bedeutete?
Aber er spürte, dass sie hier einen Schatz ganz anderer Art vor sich
hatten; ein Vermögen, das nichts mit Gold und Edelsteinen oder anderen Schätzen gemein hatte, sondern ungleich wertvoller und kostbarer war. Vielleicht waren sie dem Geheimnis ihrer Existenz noch
niemals so nahe gewesen wie jetzt.
Und vielleicht würden sie ihm nie wieder so nahe sein.
Es gab mehrere Ausgänge aus der Kammer. Meruhe schien wahllos
einen davon anzusteuern. Selbstverständlich, dachte Andrej sarkastisch, war er nicht nur halb verschüttet, sondern sah ganz so aus, als
bedürfe es nur noch eines Lufthauchs, um ihn vollends zusammenbrechen zu lassen. Sie zündete im Laufen ihre Fackel an. Das Fleckenmuster aus grün leuchtenden Flechten, das diese Kammer in
unwirkliches Licht tauchte, setzte sich auch in diesem Gang noch ein
Stück weit fort, wurde aber weiter hinten blasser und löchriger. Andrej dachte schaudernd an die vollkommene Finsternis, die sie dahinter erwartete. Vorhin, als Meruhe Abu Dun und ihn ohne Vorwarnung zurückgelassen hatte, hatte er das Gefühl, das ihn erfüllt hatte,
auf seinen Schrecken und den Ärger über sie geschoben, nun aber
musste er sich eingestehen, dass ihm diese Dunkelheit eindeutig
Angst machte. Vielleicht, weil etwas in ihm spürte, dass es keine
wirkliche Dunkelheit war. Vielmehr schien es ihm, als wäre da etwas, das seine Augen sich einfach zu sehen weigerten. Vielleicht
weil das, was er gesehen hätte, zu schrecklich und zu fremdartig gewesen wäre, um den Anblick zu ertragen.
Heftig schüttelte er den Kopf. Was für ein Unsinn!
Nicht unbedingt, flüsterte eine Stimme in seinen Gedanken. Auf der
anderen Seite… eigentlich schon.
Andrej zog es vor, nicht darauf zu antworten, weder laut noch auf
andere Weise. Das Verwirrende an Meruhe war, dass er niemals ganz
sicher sein konnte, ob sie sich nun über ihn lustig machte oder ob
ihre seltsamen Andeutungen ernst gemeint waren.
Dicht hinter ihr trat er durch den halb verschütteten Ausgang, während Abu Dun alle Mühe zu haben schien, seine massige Gestalt
durch den schmalen verbliebenen Spalt zu quetschen. Ein beständiges Rieseln von Staub, Sand und kleinen Felstrümmern, die von der
Decke herabfielen, begleitete seine Anstrengungen. Andrej glaubte
erneut, etwas wie ein sachtes Zittern zu spüren, das durch den Boden

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