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Die Verfluchten

Die Verfluchten

Titel: Die Verfluchten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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Blicke spüren. Andrej verfluchte sich dafür, dass ihm diese
Bemerkung entschlüpft war, zugleich aber auch (und vielleicht noch
viel mehr) dafür, Abu Dun nicht längst die Wahrheit über dieses
ganz besondere Talent Meruhes gesagt zu haben.
Als hätte er nun seine Gedanken gelesen, fragte Abu Dun in diesem
Moment: »Was bedeutet das, Andrej? Was geht hier vor?«
»Nicht jetzt«, kam ihm Meruhe zuvor. »Du sollst alles erfahren, aber wir müssen hier raus, so schnell es geht.«
Abu Dun lachte. »Hast du Angst, dein Freund könnte uns nachkommen?« Andrej konnte sein überzeugtes Kopfschütteln hören.
»Das glaube ich kaum.«
»Seth lebt«, erwiderte Meruhe. »Ich habe dir doch gesagt, man
kann ihn nicht töten.«
»Blödsinn!«, sagte Abu Dun. Aber er klang nicht überzeugt.
Meruhe machte sich nicht mehr die Mühe, darauf zu antworten,
sondern beschleunigte nur ihre Schritte. Sie erreichten das Gangende
und stürmten eine schmale, sehr steile Treppe hinauf. Dann fanden
sie sich in der riesigen Säulenhalle wieder, die sie vorhin schon einmal in umgekehrter Richtung durchquert hatten, und das Labyrinth
aus Gängen, Treppen, Hallen und noch mehr Treppen und Gängen
nahm sie abermals auf. Obwohl Andrej jetzt so wenig von ihrer Umgebung erkennen konnte wie zuvor, war er doch ziemlich sicher, dass
sie einen anderen Weg nach draußen nahmen - und er schien auch
deutlich länger zu dauern -, bis weit vor ihnen endlich wieder ein
winziges Fleckchen verschwommener Helligkeit auftauchte.
Auf dem letzten Stück des Weges mussten sie klettern, was Andrejs
Vermutungen zur Gewissheit machte. Sie verließen die Ruine nicht
durch den halb mit Sand gefüllten Raum, durch den sie ihn betreten
hatten, sondern durch einen Stollen, der so niedrig war, dass sie ihn
teilweise auf Händen und Knien kriechend zurücklegen mussten.
Unendlich erleichtert richtete Andrej sich auf, als sie endlich wieder
draußen waren. Die Hitze traf ihn wie ein Faustschlag, und das grelle
Sonnenlicht stach mit dünnen, glühenden Nadeln in seine zu lange an
die Dunkelheit gewöhnten Augen. Dennoch hatte er das Gefühl, zum
allerersten Mal seit langer Zeit wieder frei atmen zu können, und das
lag ganz und gar nicht nur an der stickigen Luft, die es in der Ruine
gegeben hatte.
Auch Meruhe stand auf, entfernte sich zwei oder drei Schritte und
sank dann erschöpft wieder auf die Knie. Andrej sah, dass sie am
ganzen Leib zitterte.
Hinter ihnen schob sich Abu Dun schnaubend als Letzter ins Freie.
Er hatte das letzte Stück Weg auf dem Bauch kriechend zurücklegen
müssen, und er wirkte mindestens so erschöpft und entkräftet wie er
selbst und Meruhe, und möglicherweise noch erleichterter als Andrej. Dennoch verfinsterte sich sein Blick, als er sich aufrichtete und
Meruhe ansah.
»Wir sind jetzt draußen«, grollte er. »Ich warte auf die versprochene Erklärung.«
Meruhe wandte den Kopf und versuchte zu lächeln, aber ihr schien
die Kraft dafür zu fehlen. »Nicht jetzt«, bat sie matt. »Es ist schon
spät, und wir haben noch einen weiten Weg vor uns.«
Mit sichtlicher Mühe stemmte sie sich in die Höhe, schüttelte noch
einmal den Kopf und wollte in Richtung der wartenden Kamele losgehen, doch Abu Dun war mit einem einzigen, schnellen Schritt bei
ihr, packte sie an der Schulter und riss sie brutal herum.
Der Anblick ließ eine Woge schierer Wut in Andrej explodieren.
Fast ohne sein Zutun sprang er auf die Füße und versuchte, Abu Dun
zu packen und von Meruhe wegzureißen, doch der Nubier stieß ihn
mit einer beiläufigen Geste davon, sodass Andrej drei oder vier
Schritte rückwärts taumelte und dann ungeschickt in den Sand fiel.
»Jetzt rede schon!«, verlangte Abu Dun in herrischem Ton. »Verdammt, was hast du dir dabei gedacht? Wir hätten alle umkommen
können!«
Andrej versuchte aufzustehen, um Meruhe zu Hilfe zu eilen, aber er
führte die Bewegung nicht einmal halb zu Ende, als sie ihm einen
hastigen, zugleich flehenden Blick zuwarf und mit den Augen ein
Kopfschütteln andeutete.
Nein. Er hat Recht. Ich bin es ihm schuldig.
Die winzige Zeitspanne, die sie für diese lautlosen Worte brauchte,
schienen Abu Duns Geduld endgültig zu überfordern, denn er riss sie
noch grober an sich heran, griff plötzlich mit der anderen Hand unter
ihren Mantel und ließ Meruhes Arm dann so abrupt los, dass sie einen Schritt zurückstolperte und um ein Haar das Gleichgewicht verloren hätte. Andrej beherrschte mühsam den

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