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Die Verfluchten

Die Verfluchten

Titel: Die Verfluchten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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Winzigkeit zu lange. Andererseits hätte es vielleicht gar nichts genutzt, selbst wenn sie irgendetwas gesagt oder
getan hätte.
Faruk wartete, bis die Sklaven vielleicht zwanzig oder dreißig
Schritte weit gelaufen waren, schüttelte bedauernd den Kopf und
sagte: »Offensichtlich nicht. Aber vielleicht das.«
Diesmal bedurfte es nicht einmal eines weiteren Zeichens von Faruk. Bogensehnen peitschten. Das hässliche Zischen gefiederter Pfeile erfüllte die Luft, und nur einen Augenblick später stürzten die fünf
Männer nahezu gleichzeitig in den Sand, jeder von drei oder vier
Pfeilen niedergestreckt.
»Du verdammter…«, murmelte Abu Dun. Dann brach er mit einem
erschrockenen Laut ab, und auch Andrej blinzelte einen Moment
lang verwirrt in die Runde.
Etwas geschah. Er konnte nicht sagen, was. Es war nicht sichtbar,
nichts, was er spürte. Er wusste einfach, dass etwas vor sich ging,
und es war etwas, das ihn in den tiefsten Gründen seiner Seele berührte und schaudern ließ.
Es ging eindeutig von Meruhe aus.
»Andrej?«, murmelte Abu Dun verstört. Auch er hatte es gefühlt.
Und offensichtlich nicht nur er. Auch unter Faruks Krieger kam
plötzlich eine unruhige Bewegung, und Ali Jhin und auch Faruk
selbst wirkten plötzlich fahrig. Sogar die Sklaven blieben von der
plötzlichen Unruhe, die von jedermann Besitz ergriffen hatte, nicht
verschont.
»Was… was tust du, Meruhe?«, murmelte Andrej.
Meruhe antwortete nicht, und wahrscheinlich hatte sie seine Worte
auch gar nicht gehört. Sie stand noch immer reglos unter dem Eingang des Felsengrabes, hatte aber nun die Arme gehoben und reckte
das goldene Amulett mit beiden Händen gegen den Himmel. Ihre
Augen waren geschlossen, und auf ihrem Gesicht lag ein Ausdruck
höchster Konzentration. Es war wie in jener Nacht in der Wüste, als
sie den Khamsin gerufen hatte, nur, dass Andrej diesmal spürte, um
wie viel gewaltiger die Kräfte waren, die sie jetzt heraufbeschwor.
Er spürte es den Bruchteil einer Sekunde bevor es wirklich geschah.
Etwas wie ein Stöhnen schien durch das Gefüge der Wirklichkeit zu
gehen; als krümme sich die Schöpfung selbst in schierer Qual. Abu
Dun keuchte. Faruk fuhr so heftig im Sattel zusammen, dass sein
Pferd scheute und er mit aller Macht darum kämpfen musste, überhaupt im Sattel zu bleiben, während Ali Jhin sein Tier auf der Stelle
herumriss und davonjagte, als wären alle Dämonen der Hölle auf
einmal hinter ihm her. Aus den fünf Unsterblichen wurde ein einziger Wirbel aus huschender, weißer Bewegung, die etwas zutiefst
Beängstigendes hatte.
Dann begann sich der Sand zu bewegen.
Es begann wie ein warmer Wüstenwind, mit dem Unterschied, dass
kein Wind wehte. Der Sand raschelte, als bewegte sich etwas dicht
unter seiner Oberfläche; hier und da bildeten sich winzige, kurzfristige Wehen, Strudel und Trichter…
… und dann brach der Tod aus der Erde hervor.
Schreie gellten. Ganze Gruppen von Faruks Kriegern sprengten
auseinander, als wäre eine unsichtbare Riesenfaust unter sie gefahren. Andrej glaubte, zwischen den Soldaten unheimliche Gestalten zu
erkennen, die aus dem Nichts aufgetaucht zu sein schienen.
Oder aus dem Boden gewachsen.
Keine zehn Schritte von ihnen entfernt explodierte der Sand, als
wäre dicht unter seiner Oberfläche ein unsichtbarer Geysir ausgebrochen. Etwas Dunkles, formlos Erscheinendes wühlte sich aus der
Erde, griff mit gierigen Fingern um sich und richtete sich dann seiner
ganzen beängstigenden Scheußlichkeit auf.
Nicht einmal Abu Dun gelang es, ein erschrockenes Keuchen zu
unterdrücken, und Andrej taumelte zurück, als hätte ihn ein Schlag
ins Gesicht getroffen.
Das Ding musste irgendwann von langer, langer Zeit einmal ein
Mensch gewesen sein, jetzt aber erinnerten nur noch vage Umrisse
an eine Gestalt, die früher sicher einmal imposant gewesen war. Als
der Mann noch gelebt hatte, musste er annähernd so groß gewesen
sein wie Abu Dun. Selbst jetzt, verkrümmt und verzerrt, wie er dastand, so weit nach vorn und zugleich zur Seite gebeugt, als zögen
unsichtbare Lederbänder unter seiner Haut das Skelett unbarmherzig
zusammen, überragte er Andrej noch um ein gutes Stück.
Es war nicht das erste Mal, dass Andrej auf einen Untoten traf,
doch entweder spielten ihm seine Erinnerungen einen bösen Streich
oder aber die Wiedergänger, denen sie damals in den Katakomben
von Wien begegnet waren, waren nicht annähernd so abscheulich
gewesen wie dieses Monstrum…
Die

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