Die Verfluchten
Meruhe gar nicht antworten würde, aber sie
löste sich aus dem Schatten des Eingangs und trat einen Schritt auf
den Felsen hinaus, sodass Faruk und Ali Jhin sie sehen konnten.
»Was willst du?«, fragte sie. Sie sprach nicht besonders laut, und
trotzdem hatte Andrej das Gefühl, dass sich Faruk und der Sklavenhändler unter dem Klang ihrer Stimme krümmten.
»Dir einen Handel anbieten«, antwortete Faruk.
»Einen Handel?«, gab Meruhe zurück. »Das ist seltsam. Ein Handel
setzt doch im Allgemeinen voraus, dass der eine etwas hat, das der
andere möchte. Und was könntest du schon besitzen, das ich begehre?«
Jeden anderen an Faruks Stelle hätten diese Worte vielleicht eingeschüchtert oder auch wütend gemacht, doch als Faruk die Hand hob
und ein Zeichen gab, begriff Andrej, dass wohl selbst Meruhe den
Emir falsch eingeschätzt hatte. Zwei der Krieger packten den erstbesten Sklaven, durchtrennten mit einem schnellen Schnitt seine Fesseln
und schleiften ihn ein gutes Stück auf sie zu.
»Nein!«, schrie Meruhe, doch es war zu spät. Faruk senkte die
Hand, und einer der Krieger schnitt dem unglückseligen Mann mit
einer beiläufigen Bewegung die Kehle durch.
»Wie es scheint, habe ich jetzt etwas weniger von dem, was dich
vielleicht interessiert«, sagte Faruk böse. »Ich bin zwar ein Mann,
der einen guten Handel zu schätzen weiß, doch ich bin durchaus bereit, noch ein wenig mehr von meiner Ware zu opfern, wenn es sein
muss.«
Meruhe begann zu zittern. Rasch trat sie einen halben Schritt in den
Schatten des Berges zurück, damit Faruk und die anderen es nicht
sahen. »Was willst du?«
Faruk schüttelte den Kopf. Selbst über die große Entfernung hinweg glaubte Andrej sein gespieltes Seufzen zu hören. »Du enttäuschst mich, Meruhe. Man hat mir berichtet, dass du eine sehr kluge Frau bist. Warum also beleidigst du mich, indem du mich wie
einen Dummkopf behandelst?«
»Du bist kein Dummkopf«, widersprach Meruhe. »Du bist etwas
viel Schlimmeres, Faruk. Wenn du wirklich weißt, wer ich bin - was
bringt dich dann auf die Idee, dass ich dich nicht einfach töte und mir
nehme, was ich will?«
»Eben der Umstand, dass ich weiß, wer du bist.« Faruk machte eine
ungeduldige Handbewegung. »Genug. Du weißt, was ich von dir
will. Gib den Weg frei, und ich lasse die Sklaven gehen. Oder widersetze dich mir weiter, und sieh zu, wie ich sie hinrichten lasse.«
»Und was sagt mir, dass du das nicht trotzdem tun wirst, sobald du
hast, was du willst?«, antwortete Meruhe.
»Mein Wort«, fauchte Faruk. Jetzt klang er wirklich zornig. Offensichtlich hatte Meruhe einen wunden Punkt getroffen. »Zweifelst du
daran?«
Statt direkt zu antworten, sah Meruhe wieder zu Seth und den anderen Unsterblichen hin. Auch sie waren näher gekommen, standen
aber immer noch viel zu weit entfernt, als dass sie in ihren Gesichtern hätten lesen können. Andrej vermutete allerdings, dass ihm das
selbst dann nicht möglich gewesen wäre, hätten sie unmittelbar vor
ihm gestanden.
»Du zweifelst an meinem Wort?«, sagte Faruk noch einmal, als
Meruhe weiterhin schwieg und er dieses Schweigen offensichtlich
falsch deutete. »Ich habe allein für Fragen wie diese schon Männer
hinrichten lassen«, sagte er, schüttelte aber gleich darauf wieder den
Kopf und lachte böse. »Aber niemand soll mir nachsagen, dass ich
nicht wüsste, was ich einer schönen Frau schuldig bin. Du zweifelst
also an meiner Aufrichtigkeit? Nun, dann sei so lieb, und zweifele
wenigstens nicht an meinem Verstand. Welchen Wert besitzen diese
armseligen Sklaven schon im Vergleich zu dem, was du mir dafür
geben kannst? Warum sollte ich mich mit ihnen abplagen? Meine
Männer werden genug anderes zu tragen haben. Und um dich von
meiner Aufrichtigkeit zu überzeugen, mache ich dir ein Geschenk.«
Er hob abermals die Hand. Meruhe sog erschrocken die Luft ein, als
etliche der Krieger ihre Waffen zogen und sich umwandten. Diesmal
jedoch durchtrennten sie lediglich die Fesseln von fünf weiteren
Sklaven und traten hastig wieder zurück.
»Lauft!«, rief Faruk. »Ihr seid frei!«
Die Befreiten - es waren alles Männer - zögerten. Vielleicht argwöhnten sie eine neue Grausamkeit oder Heimtücke des Emirs, dann
aber setzten sie sich in Bewegung, gingen die ersten Schritte noch
langsam und begannen schließlich zu rennen.
»Nun?«, sagte Faruk. »Überzeugt dich das?«
Meruhe zögerte noch einmal mit der Antwort, und vielleicht zögerte sie gerade eine
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