Die Verfluchten
kommen«, murmelte Abu Dun.
Er musste entweder schärfere Augen haben als Andrej oder er riet.
Jedenfalls erkannte Andrej auch jetzt nichts weiter als eine vage,
sonderbar gleitende Bewegung, an der ihn irgendetwas störte, ohne
dass er ganz genau sagen konnte, was.
»Ihr solltet gehen«, sagte Meruhe.
Andrej sah sie verständnislos an. »Gehen? Wohin?«
»Zurück in die Grabkammer?«, fügte Abu Dun hinzu.
Meruhe schüttelte heftig den Kopf. »Das ist nicht euer Kampf,
Andrej. Er geht euch nichts an, und ihr seid mir auch nichts schuldig.«
Vermutlich hatte sie damit sogar Recht. Dennoch empörte ihn ihr
Vorschlag geradezu. »Du bist verrückt, wenn du glaubst, dass wir
das wirklich tun. Denkst du tatsächlich, Abu Dun und ich laufen davon und lassen dich im Stich?«
»Und denkst du wirklich, ihr beide könntet mich vor ihnen beschützen?«, gab Meruhe in exakt demselben Tonfall zurück und schüttelte
noch heftiger den Kopf. »Gegen fünfhundert Krieger? Mach dich
nicht lächerlich, Andrej.«
»Warum erneuerst du deinen… Zauber, oder wie immer du es nennen willst, nicht einfach?«, fragte Abu Dun. Er klang nervös.
Die nötige Kraft dazu hast du ja jetzt, fügte Andrej in Gedanken
hinzu.
Meruhe fuhr leicht zusammen und sah ihn betroffen an, dann aber
fing sie sich wieder und schüttelte erneut den Kopf. »Das Siegel hätte nicht brechen dürfen. Damit habe ich nicht gerechnet. Es hätte
niemals geschehen dürfen.«
»Aber du könntest es erneuern«, vermutete Abu Dun.
Meruhe nickte zögernd. »Ja. Aber das würde fast meine gesamte
Kraft brauchen. Mir bliebe vielleicht nicht mehr genug, um die Gefangenen zu befreien.«
Andrej tauschte einen überraschten Blick mit Abu Dun. Die Gefangenen befreien? Wie um alles in der Welt wollte sie mehr als hundert
Menschen direkt aus Faruks Lager herausschaffen, ohne dass jemand
es bemerkte?
»Wer sagt, dass es niemand bemerken würde?«, sagte Meruhe leise
und fast spöttisch. Dann wurde ihre Stimme wieder bitter. »Jetzt wäre es vollkommen sinnlos. Ich könnte sie befreien, aber es gäbe
nichts mehr, wohin sie fliehen könnten.«
»Und wenn du den Schutz dieses Ortes erneuerst, kannst du sie
nicht befreien, und es gäbe niemanden, der hier Schutz suchen könnte«, fügte Andrej hinzu. In erbittertem Tonfall fuhr er fort: »Das
klingt mir ganz nach einer Situation, an der dein Freund Seth großes
Vergnügen finden würde.«
Diesmal verzichtete Meruhe darauf, zu antworten, sondern warf
ihm einen raschen Blick zu. Ihre Hand schloss sich um das Amulett,
das sie mit aller Kraft gegen die Brust drückte, und es schien, als
ginge von dem Sonnensymbol in seiner Mitte ein kaum wahrnehmbares Gleißen aus.
Das Wogen in den Schatten war mittlerweile deutlicher geworden,
und nun erkannte Andrej, dass Abu Dun Recht gehabt hatte: Es waren tatsächlich Faruks und Ali Jhins Krieger, die sonderbar langsam
in das Tal hereinmarschiert kamen. Und sie kamen nicht allein. Es
vergingen noch einmal Augenblicke, bis Andrej die unterschiedlichen Schatten wirklich auseinander halten konnte, doch dann erblickte er die lange Reihe von mit Stricken aneinander gebundenen Männern, Frauen und Kindern, die die Krieger zwischen sich hertrieben.
Es sah aus wie eine ungleich größere Ausgabe der Sklavenkarawane,
in der sie das erste Mal mit Meruhe zusammengetroffen waren - mit
dem Unterschied, dass diese Männer keinerlei Rücksicht auf ihre
Gefangenen nahmen. Wer stürzte, der wurde einfach von denen, an
die er gebunden war, weitergeschleift, und wenn einer der anderen
Sklaven versuchte, ihm aufzuhelfen, so wurde er sofort mit einem
Peitschenhieb oder auf eine andere, noch grausamere Weise bestraft.
Meruhe sog scharf die Luft zwischen den Zähnen ein, und Andrej
konnte den kalten Zorn, der die Unsterbliche erfasste, spüren.
»Bist du immer noch der Meinung, dass es selbst ein Mann wie Faruk oder Ali Jhin verdient, am Leben gelassen zu werden?«, fragte er
leise.
Meruhe schüttelte den Kopf. Ihre Hand hielt das Amulett so
krampfhaft umklammert, dass jede Farbe aus ihren Fingern wich.
»Das war nicht Ali Jhin. Sieh!«
Ihre freie Hand deutete auf die näher kommenden Krieger, aber
nicht direkt auf die Sklaven, sondern ein Stück nach links, und als
Andrejs Blick der Geste folgte, da fuhr auch er leicht zusammen. In
der Masse der Krieger gingen die fünf in schlichtes Weiß gekleideten
Gestalten beinahe unter, doch einmal darauf aufmerksam geworden,
waren sie so gut wie
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