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Die Verfluchten

Die Verfluchten

Titel: Die Verfluchten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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bei der herrschenden Beleuchtung
und ihrem bemitleidenswerten Zustand nicht unbedingt stimmen
musste. In jedem Fall war es von jener Art herber Schönheit, die man
oft bei Frauen dieses Alters antraf und die die meisten Männer ebenso irritierte wie anzog. Andrej erging es nicht anders.
»Es ist auch unhöflich, sein Gegenüber so anzustarren«, fuhr sie
fort, wobei die Andeutung eines spöttischen Lächelns über ihre vollen Lippen huschte.
Und erst in diesem Moment fiel Andrej auf, was ihn an ihrem Gesicht so verstört hatte. Es war schwarz. Ihre Züge waren ganz eindeutig europäisch, nicht afrikanisch, von den etwas zu vollen, sinnlichen
Lippen vielleicht einmal abgesehen, aber ihre Haut hatte denselben
tiefen Ebenholzton wie die Abu Duns.
Andrej hatte es bisher nicht einmal zur Kenntnis genommen. Vielleicht war er einfach schon zu lange mit dem nubischen Riesen zusammen. Sie war nicht die erste Nubierin, der er begegnete. Dieses
Volk mit den so vertraut europäisch anmutenden Zügen hatte normalerweise eine tiefbraune Haut, und Abu Dun war bisher der Erste
(und Einzige) gewesen, dessen Haut tatsächlich schwarz war. Das
Gesicht, in das er nun blickte, war genauso schwarz. Im krassen Gegensatz dazu stand die Haarfarbe der Fremden. Unter all dem
Schmutz und - wie er erschrocken registrierte - auch einer großen
Menge eingetrockneten Blutes schimmerte ein tiefes Rot hervor.
»Und es ist noch unhöflicher, einfach weiterzustarren, wenn man
schon darauf angesprochen wurde.«
Andrej fuhr noch einmal zusammen. »Verzeih, ich war nur…«
»Eigentlich«, unterbrach ihn die Fremde, und wieder erschien dieses sonderbare Lächeln, von dem Andrej spürte, dass es keines war,
für einen kurzen Moment auf ihren Lippen, »interessiert mich weniger, was du warst, sondern wer du bist.«
Andrej war nun vollends verwirrt. Er wusste einfach nicht, was er
sagen sollte, doch dann ließ Abu Dun hinter ihm ein leises, kehliges
Lachen hören und ergriff das Wort: »Verzeih, schöne Fremde. Mein
Freund Andrej ist manchmal ein wenig unbeholfen, wenn es um den
Umgang mit Damen geht. Ich bin Abu Dun.« Er legte Andrej freundschaftlich die Hand auf die Schulter, sodass dieser ächzend ein Stück
in die Knie ging, und fuhr fort: »Das ist Andrej, und wir…«
»Abu Dun?«, fiel ihm die hellhaarige Frau ins Wort. »Der Pirat?«
Abu Dun starrte sie fassungslos an. Pirat?, dachte Andrej verstört.
In der Tat hatte sich Abu Dun eine geraume Weile auch als Pirat
durchgeschlagen, aber woher konnte sie das wissen? Zu der Zeit, als
Abu Dun mit seinem Schiff den Nil und das Mittelmeer unsicher
gemacht hatte, hatte ihre Großmutter wahrscheinlich noch nicht existiert.
Offensichtlich deutete sie sein Schweigen falsch, denn nun erschien
ein betroffener Ausdruck auf ihrem Gesicht, und sie schüttelte hastig
den Kopf. »Entschuldige, ich wollte dich nicht beleidigen. Der Name
hat mich nur im ersten Moment verwirrt. In dem Dorf, in dem ich
lebe, erzählt man sich tatsächlich Geschichten von einem Piraten
desselben Namens, aber das kannst unmöglich du sein. Diese Geschichten sind sehr, sehr alt.«
»Vielleicht bin ich das ja auch«, sagte Abu Dun.
»Wenn du es wärst, dann wärst du nicht hier«, antwortete sie, nun
wieder lächelnd.
»Warum?«, wollte Andrej wissen.
»Weil nicht einmal der dümmste Sklavenhändler einen über Hundertjährigen einfangen würde«, erwiderte sie. »Und so lange erzählt
man sich die Geschichten dieses Piraten sicherlich schon bei uns.«
Sie schüttelte heftig den Kopf. »Jetzt war ich es wohl, die unhöflich
war. Mein Name ist Meruhe. Du bist also Andrej. Das ist kein arabischer Name, habe ich Recht?« Sie legte den Kopf auf die Seite und
sah ihn prüfend an. Wieder hatte Andrej das irritierende Gefühl, dass
mit ihrem linken Auge etwas nicht in Ordnung war. »Und du bist
auch kein Araber, obwohl du dir alle Mühe gibst, wie ein solcher
auszusehen. Was tut ihr hier?«
»Das ist eine lange Geschichte«, antwortete Andrej ausweichend.
»Abu Dun und ich sind in dieses Land gekommen, um…«
»Ich meine hier«, fiel ihm Meruhe ins Wort. Anscheinend gehörte
es zu ihren Gewohnheiten, ihr Gegenüber nie ausreden zu lassen. »In
diesem Kerker. Ich habe schon eine Menge sonderbarer Dinge gesehen, aber noch nie, dass sich jemand so große Mühe gibt, sich in Ketten legen zu lassen.«
»Das ist eine noch längere Geschichte«, sagte Andrej, nun in hörbar
kühlerem Ton. Irgendetwas warnte ihn, dieser

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