Die Verfluchten
Ende der Treppe geöffnet wurde, und sich ihnen rasche, harte Schritte näherten. Unter den Sklaven, von denen sich die meisten mittlerweile auf den mit faulendem Stroh bedeckten Boden niedergekauert
und in ihrer Erschöpfung zum Teil gegeneinander gelehnt hatten,
brach Unruhe aus. Die Schritte kamen näher, und Andrej hörte aufgeregte, zornige Stimmen, die durcheinander redeten, konnte den
Dialekt aber nicht verstehen, dessen sie sich bedienten.
Abu Dun offensichtlich schon, denn er beugte sich leicht vor und
raunte ihm zu: »Sie streiten miteinander. Der Mann am Tor muss
eine Liste geführt haben.«
»Und jetzt haben sie festgestellt, dass sie zwei Sklaven zu viel haben«, murmelte Andrej ebenso leise, ohne auch nur den Kopf zu heben. Er nickte besorgt. »Das ist das Problem, wenn man sich mit einem Volk einlässt, das im Grunde seines Herzens aus Krämern besteht.«
Abu Dun verzichtete darauf, etwas auf diese Stichelei zu erwidern,
aber Andrej spürte seine Anspannung, obwohl sich der Nubier
gleichzeitig noch ein wenig weiter nach vorn beugte und auch die
Schultern sinken ließ, um nicht allzu sehr aus der Masse der Sklaven
herauszustechen. Und jetzt, dachte Andrej, ist es nur noch eine Frage
der Zeit, bis irgendjemandem auffällt, dass ihnen gestern in der Wüste zwei Männer entkommen sind und sie dafür zwei Sklaven mehr
haben, als sie eigentlich haben sollten.
»Kommen sie deswegen?«, flüsterte er.
Er konnte Abu Duns Kopfschütteln hinter sich spüren. »Nein. Da
ist noch etwas. Aber ich weiß nicht, was.«
Eine ganze Abteilung bewaffneter Männer erschien auf der anderen
Seite des Gitters. Andrej saß weiter mit gesenktem Kopf da und
spielte den Erschöpften, beobachtete sie aber gleichzeitig scharf aus
den Augenwinkeln. Es waren in der Mehrzahl Krieger, die mit griffbereit auf den Schwertern liegenden Händen im Halbkreis rings um
die Gittertür herum Aufstellung nahmen, während ein kleines, dürres
Männchen in dafür umso prachtvolleren Kleidern das große Schloss
entriegelte. Dann trat es, begleitet von zwei der Soldaten, ein und sah
sich suchend um. Andrej spannte sich, als er einen der Männer in
seiner Begleitung wiedererkannte. Es war der Bursche vom Tor, der
Abu Dun geschlagen hatte.
»Was haben die vor?«, murmelte Abu Dun.
Andrej hob andeutungsweise die Schultern. »Sie suchen jemanden«, gab er ebenso leise zurück. Wahrscheinlich uns.
Der Bursche in den kostbaren Kleidern hob den Arm und deutete in
die Menge hinein, zu Andrejs Erleichterung aber nicht in ihre Richtung. Unverzüglich bahnten sich seine beiden Begleiter rücksichtslos
einen Weg durch die dicht an dicht sitzenden Sklaven, und Andrej
registrierte überrascht, auf wen sie zusteuerten. Es war die Frau mit
den roten Haaren. Meruhe.
Andrej spürte, wie Abu Dun zusammenfuhr, und griff rasch hinter
sich, um ihm beruhigend die Hand auf den Unterarm zu legen - was
im Notfall vollkommen sinnlos gewesen wäre. Einen wütenden Abu
Dun aufhalten zu wollen, wäre genauso aussichtsreich gewesen wie
der Versuch, einem durchgehenden Elefantenbullen mit bloßen Händen entgegenzutreten. Aber Abu Dun tat nichts Unbedachtes. Er atmete nur tief und hörbar ein und entspannte sich dann wieder; auch
wenn Andrej spürte, dass er Meruhe und die beiden Krieger ebenso
aufmerksam im Auge behielt wie er selbst.
Vielleicht war es sogar einzig die Nubierin, die die Katastrophe
verhinderte. Andrej war nicht sicher - trotz allem war sein Blick von
ihrem sonderbaren Auge noch immer so gebannt, dass es ihm schwer
fiel, sich davon loszureißen und irgendetwas anderes zu registrieren , aber ihm war, als werfe sie ihm (oder Abu Dun?) einen raschen,
warnenden Blick zu, als einer der beiden Krieger nach ihrem Arm
griff und sie rücksichtslos in die Höhe zu ziehen versuchte.
Es blieb bei dem Versuch.
Es war nur ein Augenblick. Andrej war sogar fast sicher, dass außer
Abu Dun und ihm niemand in diesem Verlies überhaupt bemerkte,
was wirklich geschah, aber dafür sah er es umso deutlicher: Die
Hand des Mannes schloss sich mit brutaler Kraft um Meruhes Oberarm, um sie hochzureißen, doch noch bevor er die Bewegung ausführen konnte, riss Meruhe ihren Blick von Andrej und Abu Dun los und
sah zu ihm hoch. Andrej konnte sehen, wie etwas im Blick des Mannes brach. Für einen Moment loderte Panik in seinen Augen auf,
dann gewannen Disziplin und vielleicht sogar Trotz wieder die Oberhand, und er zerrte sie endgültig auf die Füße.
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