Die Verfluchten
schenkte ihm einen verärgerten Blick, zerrte und riss aber
unerschütterlich weiter. Die Lücke zwischen den Gitterstäben war
mittlerweile schon breit genug, einen normal gewachsenen Mann
hindurchschlüpfen zu lassen, nicht aber den nubischen Koloss. Andrej stellte sich lieber nicht die Frage, was sie eigentlich getan hätten,
wäre es ihnen nicht gelungen, dieses Gitter aufzubrechen. Stattdessen
gestand er sich ein, dass ihnen auch so nicht geholfen war. Ob nun
mit oder ohne diese Gitterstäbe zwischen sich und der Treppe - da
war noch immer die schwere Tür und dahinter ein ganzer Hof voller
Krieger, die wohl kaum tatenlos zusehen würden, wie zwei ihrer Gefangenen in aller Seelenruhe hier herausspazierten.
»Du hast den Dialekt gehört, den die Burschen gesprochen haben?«, fragte Abu Dun.
Andrej nickte, und der Nubier fuhr fort: »Das ist eine Mischung aus
Arabisch und der Sprache meines Volkes. Niemand hier in dieser
Gegend spricht sie, aber ich habe sie schon gehört. Damals, als der
Pirat mein Heimatdorf überfallen und meine Familie in die Sklaverei
verschleppt hat.«
»Du glaubst immer noch, dass…«, begann Andrej, aber Abu Dun
unterbrach ihn mit einem zornigen Kopfschütteln, mit dem er sich
zugleich noch einmal anstrengte und ein lang gezogenes Keuchen
ausstieß. Die Gitterstäbe ächzten ein allerletztes Mal und gaben dann
endgültig nach. Der Nubier ließ erschöpft die Arme sinken und trat
einen halben Schritt zurück, betrachtete aber gleichzeitig zufrieden
sein Werk. Die Lücke, die sie geschaffen hatten, reichte nun auch für
ihn.
»Natürlich nicht«, beantwortete er Andrejs Frage mit einiger Verspätung. »Aber der Pirat damals hat sich in dieser Sprache mit einem
Boten unterhalten, der eines Tages von seinem Herrn kam.«
»Und jetzt meinst du, das wäre eine Spur?«, fragte Andrej.
»Die beste, die ich bisher gefunden habe«, erwiderte Abu Dun. Bevor Andrej eine weitere Frage stellen konnte, quetschte er sich ächzend und schnaubend durch die Lücke in den Gitterstäben und bedeutete ihm dann mit einer ungeduldigen Handbewegung zu folgen.
Andrej gehorchte, wandte sich aber sofort wieder um und deutete
wahllos auf einen der Sklaven, die auf der anderen Seite saßen und
dem, was sie taten, mit einer Mischung aus Fassungslosigkeit und
ungläubiger Hoffnung zusahen. »Du da«, sagte er, nun wieder auf
Arabisch. »Erzähle mir, wo sie euch eingefangen haben.«
»Einen Tagesmarsch von hier, Herr«, antwortete der Sklave. »Sie
haben unser Dorf überfallen. Die meisten von uns konnten entkommen, aber nicht alle.«
»Dann seid ihr alle aus demselben Dorf?«, mischte sich Abu Dun
ein. »Auch Meruhe?«
»Ja«, antwortete der Sklave. Es war ein Mann mittleren Alters und
von kräftiger Statur, dessen schwielige Hände verrieten, dass er
schwere Arbeit gewöhnt war. Er sah auch nicht so aus, als ließe er
sich schnell einschüchtern, dennoch flackerte in seinem Blick kurz so
etwas wie Furcht auf, als Abu Dun ihn direkt ansprach. Nach dem,
was dieser Mann - und alle anderen - gerade gesehen hatte, konnte
Andrej das nur zu gut verstehen. »Wir… wir haben sie aufgehalten,
damit der Rest von uns fliehen konnte.«
»Die Sklavenhändler?«, vergewisserte sich Andrej.
»Es ist nicht das erste Mal, dass sie uns überfallen«, antwortete der
Mann, »aber es waren noch niemals so viele. Wir haben sie aufgehalten, bis die meisten aus unserem Dorf in die Höhlen geflüchtet sind,
aber sie haben drei von uns erschlagen, und sie hätten uns wahrscheinlich alle getötet, hätten wir nicht aufgegeben.«
Das ist seltsam, dachte Andrej. Der Mann sagte zweifellos die
Wahrheit; viele der Sklaven wiesen Verletzungen auf, ausnahmslos
nicht besonders schwere, aber es waren doch eindeutig Kampfspuren. Aber Sklavenhändler pflegten selten ein Dorf zu überfallen und
alle seine Bewohner niederzumetzeln. Ein toter Sklave ließ sich nicht
besonders gut verkaufen.
»Und Meruhe?«, fragte Abu Dun noch einmal. »Gehört sie auch zu
euch?«
Der Mann zögerte einen winzigen Moment mit seiner Antwort, gerade lange genug, um Andrej klar zu machen, dass er sich seine Worte sorgsam überlegte und dass sie vielleicht nicht unbedingt der
Wahrheit entsprachen. »Ja«, sagte er schließlich. »Sie ist… unsere
Beschützerin.«
»Beschützerin?«, vergewisserte sich Abu Dun. »Was soll das heißen?«
»Sie kümmert sich um die Kranken und Alten«, antwortete der
Mann. »Sie weiß sehr viel. Und sie kennt sich
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