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Die Verfluchten

Die Verfluchten

Titel: Die Verfluchten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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rennen willst, dann retten wir deine schwarzhäutige Schönheit.«
    Sie hatten sich beide getäuscht. Die Sonne war bereits untergegangen, und es war wieder so kalt geworden, wie Andrej befürchtet hatte. Doch von Ali Jhins Männern war noch nichts zu sehen. Sie konnten allerdings nicht mehr weit weg sein; selbst wenn der Wind nicht
dann und wann das Wiehern eines Pferdes herangetragen hätte, das
verräterische Klingen von Metall oder den Fetzen eines Wortes, hätte
er ihre Nähe gespürt.
    Aber noch waren sie nicht da.
»Ich verstehe nicht, worauf sie warten«, murmelte Abu Dun neben
ihm. Wie in der Nacht zuvor lagen sie beide nebeneinander flach auf
dem Kamm einer Düne und blickten in das dahinter liegende Tal
hinab, nur, dass sich diesmal keine aus Sandstein erbaute Festung
unter ihnen erstreckte und sich die gewaltige Menge an Feinden, denen sie sich gegenübersahen, hinter ihnen befand, nicht vor ihnen.
Vielleicht auch neben ihnen, da war sich Andrej nicht ganz sicher.
Nachdem es dunkel geworden war, hatten ihm auch seine scharfen
Sinne nicht mehr dabei geholfen, die Spur der Jäger zu verfolgen.
Eine der drei Gruppen, die sich in den zurückliegenden Stunden beharrlich aufeinander zu und zugleich auf einen Punkt hin bewegt hatten, der Andrejs Einschätzung nach nahe der Stelle lag, an der sich
Abu Dun und er befanden, war rechts von ihnen. Wenn die beiden
anderen ihren Kurs nicht geändert hatten, musste sich die zweite
nicht viel weiter entfernt auf der linken Seite befinden, während der
dritte Trupp sich dem schmalen Dünental von vorne näherte.
Abu Dun und er waren der Flüchtlingskarawane nicht auf direktem
Wege gefolgt, sondern hatten einen großen Bogen geschlagen, um
sie zu umgehen und möglichst vor den Dorfbewohnern an ihrem Ziel
zu sein, und damit auch vor ihren Verfolgern. Jemanden zu verfolgen, indem man vor ihm blieb, war tatsächlich möglich, wenn man
über so große Erfahrung und so scharfe Sinne wie Abu Dun und er
verfügte. Doch selbst für sie war es ungemein kompliziert und anstrengend gewesen. Ein Dutzend Mal hatten sie ihren Kurs ändern
und noch sehr viel öfter ihre Spuren verwischen müssen, und Andrej
war trotz allem nicht ganz sicher, dass es ihnen gelungen war.
Aber es spielte jetzt keine Rolle mehr. Meruhe und die Menschen
aus ihrem Dorf waren hier, und Ali Jhins Krieger würden nicht mehr
lange auf sich warten lassen.
Andrej wusste immer noch nicht, was er tun sollte.
»Was ist das dort unten?«, fragte er. »Auch eine Hinterlassenschaft
deines Volkes?«
Abu Dun antwortete erst nach einer geraumen Weile und mit einem
zögerlichen Kopfschütteln. »Ich glaube nicht. Ein Zikkurat, nehme
ich an.«
Andrej warf ihm einen schrägen Blick zu. »Aha. Und was ist… ein
Zikkurat?«
Diesmal dauerte es noch länger, bis Abu Dun antwortete. »Im
Sprachgebrauch des alten Babylon stand dieser Ausdruck für eine
Tempelanlage. Und in meinem«, er grinste, »steht er für Wasser.«
Abu Dun wusste es also nicht, dachte Andrej. Nicht, was ein Zikkurat war, sondern was dieses sonderbare, zum größten Teil im Wüstensand versunkene Gebäude dort unter ihnen war. Es schien nicht
besonders groß zu sein, und seine Umrisse waren in der Nacht mehr
zu erahnen als wirklich zu sehen; ein plump wirkender Quader aus
großen, treppenförmig aufeinander geschichteten Sandsteinblöcken,
kaum größer als die Hütte, in der Abu Dun zusammen mit seiner
Familie auf Malta gelebt hatte. Mit Ausnahme einer niedrigen Tür
hatte es keine weitere Öffnung oder irgendwelche Verzierungen.
Gebäude wie diese, wenn auch nicht ganz so wuchtig erbaut und
nicht unbedingt in Stufenform, waren typisch für diesen Teil des
Landes, aber man fand sie im Allgemeinen nicht mitten in der Wüste
und von ihren Besitzern verlassen vor.
»Vielleicht gab es hier früher einmal eine Oase«, murmelte Abu
Dun, der noch immer darum bemüht schien, eine Erklärung für die
Existenz des Gebäudes zu finden. »Wenn es hier wirklich eine Wasserstelle gibt, dann war sie früher vielleicht einmal viel größer.«
Das war eine mögliche Erklärung, aber Andrej spürte, dass es nicht
der Wahrheit entsprach. Obwohl dieser Klotz dort unten wenig mehr
als ein Schatten in der Nacht war, schien doch etwas Unheimliches
von ihm auszugehen. Andrej glaubte das Alter dieses zum größten
Teil von Sand verschlungenen Gebäudes geradezu spüren zu können.
Nur mit etlicher Mühe gelang es ihm, diesen Gedanken abzuschütteln.

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