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Die Verfluchten

Die Verfluchten

Titel: Die Verfluchten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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der Stelle ein; manche hatten sich aneinander geschmiegt,
um sich gegenseitig zu wärmen, und nur an einer einzigen Stelle hatte jemand versucht, ein Feuer zu entzünden, wenn auch mit wenig
Erfolg.
Das war es aber nicht, was Abu Dun ihm hatte zeigen wollen. Sein
ausgestreckter Arm wies auf eine winzige Gestalt in einem schwarzen Mantel, die Andrej als Meruhe identifizierte. Sie stand ein Stück
abseits des Gebäudes und sprach offensichtlich aufgeregt auf einen
Mann ein, dessen rechter Arm an seinen Körper gebunden war. Ali
Jhin. Andrej versuchte konzentriert, etwas von ihrem Gespräch zu
verstehen, doch die Entfernung war auch für seine Ohren zu groß.
Immerhin sah er, dass Meruhe aufgeregt mit beiden Armen gestikulierte. Sie wirkte zornig.
»Wir hätten ihm doch die Kehle durchschneiden sollen«, grollte
Abu Dun.
»Verstehst du denn, was sie sagen?«
Abu Dun schüttelte den Kopf und schürzte zugleich abfällig die
Lippen. »Sie sehen jedenfalls nicht aus, als ob sie gerade Freundschaft schließen wollen. Glaubst du immer noch, dass dieser Kerl
sein Wort hält?«
Andrej hätte ihm gerne widersprochen, doch was er sah, machte es
ihm unmöglich. Er schätzte Meruhe nicht als eine Frau von großer
Geduld oder gar Sanftmut ein, doch jetzt machte sie den Eindruck,
als könnte sie sich nur noch mit letzter Kraft zurückhalten, sich nicht
einfach auf den Sklavenhändler zu stürzen.
Es gab nur einen Weg, herauszufinden, was dort unten wirklich geschah.
Nach einem letzten, sichernden Blick in die Runde löste er sich von
seinem Platz und huschte lautlos wie ein Gespenst die Düne hinab.
Abu Dun folgte ihm ebenso lautlos. Ihre schwarzen Mäntel ließen sie
mit den Schatten der Nacht verschmelzen, sodass sie auch dann unsichtbar und unentdeckt geblieben wären, hätten sie sich einem wirklich aufmerksamen Beobachter genähert und nicht einer Hand voll zu
Tode erschöpfter Flüchtlinge.
Andrej blieb dennoch auf der Hut. Immerhin pirschten sie sich
nicht an ein Lager voller Feinde heran.
Abu Dun und er nahmen einen gehörigen Umweg in Kauf, um sich
Meruhe und dem Sklavenhändler von der windabgewandten Seite zu
nähern, die glücklicherweise dieselbe war, in der auch der unheimliche Sandsteinbau lag.
Nebeneinander und mit perfekt aufeinander abgestimmten Bewegungen, zu denen nach so langer Zeit, die sie sich nun kannten, kein
einziges Wort und keine Geste der Verständigung mehr notwendig
war, erreichten sie den Zikkurat und pressten sich in den Schatten
des wuchtigen Steinklotzes.
Andrej lauschte angestrengt. Zunächst hörte er nichts außer den
vielfältigen Geräuschen der Schlafenden ringsum, das gleichmäßige
Schlagen seines eigenen Herzens und das seidige Rascheln und Gleiten, mit dem der Wind in den Sand fuhr und ihn beständig neu ordnete, sodass diese gewaltige, ausgedörrte Wüste niemals wirklich zur
Ruhe kam. Dann identifizierte er immerhin Meruhes Stimme, und
nachdem er sie einmal inmitten all der anderen Geräusche ausgemacht hatte, fiel es ihm auch nicht mehr schwer, die Worte zu verstehen.
Jedenfalls sollte es das nicht.
Im ersten Moment war er zutiefst verstört, dann, auch wenn er den
Grund dafür nicht genau benennen konnte, erschrocken. Meruhe und
der Sklavenhändler redeten in der Sprache miteinander, in der Meruhe zuvor den Jungen von den Toten zurückgeholt hatte.
»Dafür, dass niemand mehr diese Sprache spricht, benutzt Meruhe
sie aber sehr häufig«, murmelte er.
»Ja«, grollte Abu Dun. Er schwieg einen Herzschlag lang und setzte
dann besorgt hinzu: »Fließend.«
»Verstehst du, was sie sagen?«, fragte Andrej.
»Nein«, erwiderte Abu Dun und klang dabei noch besorgter,
schränkte jedoch kurz darauf selbst ein: »Jedenfalls nicht alles. Nicht
die Worte. Aber ich glaube, ich weiß, worum es geht.«
Seltsamerweise erging es Andrej genauso. Er verstand nichts von
dem, was Meruhe und Ali Jhin sagten, und doch gingen ihm sowohl
der Sinn als auch der Inhalt ihres in hektischem Tonfall geführten
Streitgesprächs auf.
»Vielleicht hattest du Recht«, knurrte er. »Wir hätten Ali Jhin den
Kopf abschneiden und hübsch verpackt zu seinen Leuten zurückschicken sollen.«
Abu Dun sah ihn verwirrt an, enthielt sich aber jeden Kommentars
und machte stattdessen nur eine Kopfbewegung zur Ecke des Gebäudes hin. Andrej ging die paar Schritte, ließ sich auf ein Knie herabsinken und spähte mit angehaltenem Atem in die Richtung, aus der
die immer lauter werdenden,

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