Die Verfluchten
ich habe sie trotzdem verloren.« Abu Dun hob rasch
die Hand, als Andrej widersprechen wollte. »Du hast mich nie darauf
angesprochen, Andrej, und ich bin dir dankbar dafür. Aber die
Wahrheit ist, dass es heute noch genauso wehtut wie in dem Moment, in dem es geschah.«
»Das tut mir Leid«, sagte Andrej mitfühlend.
Wieder fiel Abu Duns Reaktion ganz anders aus, als er erwartet hatte. Der Nubier schüttelte nur noch heftiger den Kopf und verzog die
Lippen zu einem dünnen, bitteren Lächeln. »Das muss es nicht. Es
war meine Schuld.«
»Schuld?«, widersprach Andrej. »Julia hat…«
Abu Dun unterbrach ihn sofort. »Das meine ich nicht, Andrej. Ich
habe mich belogen. All die Jahre zuvor habe ich mich belogen, und
ich glaube, du tust dasselbe. All die Jahre, die wir miteinander geritten sind. All die Frauen, die wir gehabt haben. All die Zeit, in der ich
auf der Suche war.« Er lachte erneut, leiser und noch bitterer. »Ich
war auf der Suche nach etwas, was es nicht gibt, Andrej. Nicht für
Männer wie uns.«
»Und was sollte das sein?«, erkundigte sich Andrej, obwohl er die
Antwort auf diese Frage sehr gut kannte.
»Vielleicht die größte Lüge, mit der uns der Teufel narrt, seit es
Menschen gibt«, antwortete Abu Dun bitter. »Die Liebe.«
»Du irrst dich«, antwortete Andrej überzeugt. »Das ist keine Lüge.
Ich habe sie erlebt.«
»Erlebt? Oder erlitten?«, fragte der Nubier. »Du hast sie gesehen, Andrej. Das Schicksal hat sie dir hingehalten, wie einen zappelnden
Fisch einem Verhungernden, und du hast danach geschnappt. Du hast
sie vielleicht sogar gekostet, aber du hast sie niemals gehabt. Wie
lange bist du einem Traum hinterhergejagt, den du niemals verwirklichen konntest? Wie lange hat die Wunde in deinem Herzen geblutet, selbst nachdem du längst wusstest, dass Maria gar nicht mehr am
Leben sein konnte?«
Andrej antwortete nicht darauf. Abu Duns Worte trafen ihn wie ein
Fausthieb, und sie taten weh. Nicht einmal so sehr, weil er Unrecht
gehabt hätte - das hatte er nicht -, sondern weil er einfach nicht wollte, dass Abu Dun so über Maria sprach. »Das ist nicht wahr! Sie
war…«
»Ein Traum«, sagte Abu Dun, als hätte er seinen Gedanken tatsächlich gelesen und brächte ihn laut zu Ende. »Zumindest für uns, Andrej. Männer wie wir sind nicht für die Liebe geschaffen.«
»Die meisten Frauen, mit denen ich zusammen war, waren der
Meinung, ich würde mich ganz ausgesprochen gut dafür eignen«,
entgegnete Andrej in dem ebenso schwachen wie unzulänglichen
Versuch, scherzhaft zu klingen. Abu Dun machte sich nicht einmal
die Mühe, darauf einzugehen.
»Vielleicht ist das der Preis, den wir bezahlen müssen«, fuhr er ungerührt fort. »Es war nicht die Art, auf die Julia gestorben ist. Ich
dachte, das wäre es. Ich habe mich lange Zeit selbst belogen und es
mir eingeredet. Aber das war nicht die Wahrheit. Die Wahrheit war
einfach, dass sie gestorben ist. Ich glaube, es hätte nicht einmal einen
großen Unterschied gemacht, wenn alles anders gekommen, wenn sie
weitergelebt hätte. Sie hätte dreißig oder vierzig Jahre an meiner Seite verbracht, vielleicht ein wenig mehr, und sie wäre gealtert und
irgendwann doch gestorben. Vielleicht wäre es dasselbe gewesen.«
Andrej wusste, dass das nicht stimmte. Das Schicksal hatte Abu Dun
Julia auf die allergrausamste nur vorstellbare Weise genommen, und
er war bis heute nicht darüber hinweggekommen; dieser gespielte
Fatalismus war einfach seine Art, sich zu schützen.
»Du irrst dich, Abu Dun«, sagte er sanft. Er versuchte erneut, sich
zu einem Lächeln zu zwingen, und zu seiner eigenen Überraschung
spürte er, dass es ihm sogar gelang. »Du bist zu hart gegen dich
selbst. Gib dir ein wenig Zeit.«
»Zeit«, wiederholte Abu Dun nachdenklich. Er nickte. »So viel wie
du dir?«
»Das ist…«
»Die Wahrheit«, schnitt ihm Abu Dun das Wort ab. »Wer belügt
sich jetzt selbst, Andrej?« Er lachte, aber es klang nicht abfällig oder
verletzend. »Sieh es endlich ein. Das Leben eines normalen Menschen ist zu kurz für uns. Was sind ein paar Jahre dieser süßen Lüge
gegen einen Schmerz, der vielleicht niemals erlischt?«
»Vielleicht das Einzige, was ihn heilen kann«, antwortete Andrej
leise.
»Wirst du Maria vergessen, wenn du Meruhe hast?«, fragte Abu
Dun.
Andrej starrte ihn fassungslos an. Abu Dun lachte leise und zwang
sein Pferd auf einen anderen Kurs.
»Also komm«, sagte er. »Wenn du unbedingt in dein Unglück
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