Die Verführung der Arabella Fermor: Roman (German Edition)
Frühlingsluft. Blüten hüllten die Bäume ein wie Schneefall über Nacht, der sich glitzernd an den Zweigen hielt, nur, um dann in schwer duftenden Schauern herabzufallen und den Boden weiß zu färben. Fenster öffneten sich, Mäntel wurden hastig abgeworfen. Rotwild tauchte auf, Kuhglocken bimmelten. Der Sommer nahte.
Eines wunderschönen Morgens im späten Mai, als die Sonne hell und warm aufging, da stand der St. James Park schließlich in voller Blätterpracht. Die Spazierwege waren belebt von Damen und Herren der Hofgesellschaft, die zu dritt oder viert darauf flanierten. Grüppchen von Damen leuchteten wie Tulpen in ihren hellen Seidenroben, Schoßhündchen schossen umher wie Schmetterlinge, und die Herren standen dabei wie Gärtner, die in verzückter Bewunderung die Blumen betrachteten, die sie zu verschwenderischen Aufmerksamkeiten anregten.
Arabella hatte es so eingerichtet, dass sie an diesem Morgen mit den Schwestern Blount spazieren ging. Sie hatte den St. James Park vorgeschlagen, weil Henrietta Oldmixon sowie Lord und Lady Salisbury dort mit Lord Petre spazieren gehen würden, und Martha hatte gemeint, dort würden sie und Teresa auch Alexander und Jervas treffen.
Die Mädchen waren kaum zwanzig Minuten unterwegs gewesen, da erschienen Alexander und Jervas hinter einer Baumgruppe. Alexander redete lebhaft, beseelt von den tiefhängenden Zweigen einer ausladenden Ulme, unter denen er hindurchspazierte. Jervas machte einen Umweg, um ihnen auszuweichen, aber Alexander marschierte drauflos, duckte sich leichthin unter den Zweigen hindurch und redete dabei vergnügt weiter auf den nun unsichtbaren Jervas ein. Arabella musste lachen bei dem Anblick.
Doch ihr Lächeln erstarb augenblicklich, denn Alexander hielt schnurstraks auf Lord Petre zu, der mit Lord und Lady Castlecomber aus der entgegengesetzten Richtung kam. Lord Petre trug einen Gehrock aus crèmefarbener Seide,bestickt mit einem Muster aus hochroten Tulpen. Was für ein Unterschied zu Mr. Popes Rock, dachte sie, geschneidert aus einem blauen Stoff, der vor zwei Jahren einmal kurz in Mode gewesen war. Sie verbeugten sich voreinander: Lord Petre mit elegantem Schwung, Pope mit einem linkischen Ruck. Zu ihrer Enttäuschung sah Arabella, dass auch Henrietta und die Salisburys jetzt in Sicht waren.
Als sie näher herankam, hörte sie Lord Petre zu Pope sagen: »Ich sehe, Sie sind noch in der Stadt, Sir, mit oder ohne den Segen Ihres Vaters? Aber sagen Sie mir doch, Mr. Pope«, fuhr Lord Petre fort, »wann schreiben Sie endlich ein Gedicht über Ihre Freunde? Wir dürsten danach, grandiose Verse über uns selbst zu lesen!«
Pope lächelte und reckte sich ein wenig, offensichtlich entzückt, als Lord Petres Freund zu gelten. Stockend brachte er etwas Schmeichelhaftes als Antwort hervor, und er tat Arabella fast leid: Sie hoffte, er war sich darüber klar, dass der Baron lediglich leutselig war; natürlich würden sie niemals mehr als höfliche Bekannte sein.
In diesem Moment begegnete Arabella Lady Castlecombers Blick, und sogleich kam Charlotte heran und begrüßte sie. Aber als sie Lady Castlecomber fragte, wie es ihr gehe, da glaubte Arabella in der Antwort der anderen einen Ton der Herablassung zu hören, und sie verspürte den eifersüchtigen Impuls, etwas Gehässiges zu sagen.
»Ich habe Sie ja letzte Woche gar nicht bei Lady Salisburys Morgenempfang gesehen«, meinte Arabella. »Zählte die nicht einmal zu Ihren besonderen Freundinnen?«
»Das tut sie auch immer noch«, versetzte Lady Castlecomber deutlich reserviert. »Aber ich war mit meinem Gatten in Irland. Lord Castlecomber reist sehr viel«, setzte sie hinzu. »Reisen Sie viel, Miss Fermor?«
»Ich bin viele Jahre in Paris zur Schule gegangen«, antwortete Arabella.
»Ah, dann waren Sie also jetzt schon länger nicht dort«, konterte Charlotte und lächelte, als Lord Petre sich der Gruppe zugesellte.
Er warf Charlotte einen warnenden Blick zu und bot Arabella seinen Arm.
»Was brauchen wir Paris, wenn wir den St. James Park im Frühling haben?«, meinte er, als er Arabella wegführte.
Alexander verfolgte dieses kleine Wortgefecht interessiert. Er hatte es befremdlich gefunden, dass Lord Petre sich so rasch aus ihrer beider Unterhaltung verabschiedet hatte – jetzt begriff er … Und er bewunderte den Baron für seine Geistesgegenwart. Zum ersten Mal empfand Alexander so etwas wie Sympathie für Arabella: Sogar sie musste gelegentlich gerettet werden. Er erinnerte sich noch
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