Die Vergangenheit des Regens
GliedmaÃen wie andere Menschen.«
»Dann halt eine Spinne?«, versuchte es der Erleuchtete noch einmal, doch wieder schüttelte ihr Anführer den Kopf.
»Spinnen haben acht Beine, nicht sechs.«
»Ach, was sollâs? Ist doch eh nur ein Traum«, haderte der Erleuchtete dann und ging ins Dickicht, um Wasser zu lassen.
Kinjo selbst hatte keine Deutung dieses Zeichens parat. »Das wäre auch noch zu früh«, antwortete er auf Rodraegs Nachfrage. »Jetzt geht es erst mal darum, dieses Zeichen zu finden. Es wird sich mir zeigen. Was es bedeutet, erschlieÃt sich danach.«
Sie marschierten weiter. Ihr dritter Tag im Regenwald.
Migal und Bestar wechselten immer noch kein einziges Wort. Timbare und Kinjo gingen weiterhin voran, während Enenfe sich mal linkerhand, mal rechterhand von der Gruppe aufhielt und die verschiedenen beschwerlichen Gangarten der dreizehn anderen zu imitieren schien. Ijugisâ anfangs so blendende Laune bekam langsam Risse, denn in Ermangelung eines handfesten Gegners begann das Oberhaupt des Erdbebens sich zu langweilen. Dafür fiel Rodraeg auf, dass Ijugis mit seinen sieben Frauen und Männern viel Kontakt hielt, redete und scherzte. Vielleicht hatte sich seine frühere Einstellung, als der Erdbeben mann noch, ohne mit der Wimper zu zucken, den Tod aller seiner Mitstreiter in Kauf genommen hatte, inzwischen geändert. Vielleicht zog er es mittlerweile ebenfalls vor, einen festen Stamm um sich zu bilden, so wie Timbare dies in seinem Regenwald gelungen war und wie auch Rodraeg dies anstrebte â nur dass das Schicksal Rodraeg dann doch immer dazwischengefuhrwerkt hatte. In seinem Dreivierteljahr als Mammut anführer hatte Rodraeg Migal, Hellas und Eljazokad verloren und dafür lediglich Tjarka hinzugewonnen. Und einzig Bestar war ihm über alle Fährnisse hinweg erhalten geblieben.
Onouk wurde von Tegden Baudo mit besonderer Fürsorglichkeit bedacht, aber sehr galant und diskret, sodass Ijugis keinen Grund zur Eifersucht hatte. Auch Rodraeg ertappte sich dabei, wie er der schönen Onouk beim Hintereinandergehen ab und zu versonnen auf den Hintern schaute. Wenn er sich so selbst erwischte, versuchte er anschlieÃend stets, seine Aufmerksamkeit wieder einer besonders schönen Blume oder einem herausragend auffälligen Baum zuzuwenden.
Tjarka blühte regelrecht auf. Ihre Wangen bekamen Farbe, sie lächelte viel. Nach einem anfänglichen Tag des Misstrauens gefiel ihr dieser Wald nun noch besser als ihr Thost. Durch das Unheil, das der Kaninchenschlächter in ihm angerichtet hatte, war dem Thostwald in einigen Gebieten die Seele abhandengekommen. Dieser Wald hier dagegen schien übervoll an Seele. Tjarka fürchtete sich lediglich vor dem Trockengebiet.
Selke Birlen bewegte sich, in ihrer Lederkleidung erstaunlich wenig schwitzend, mit dem sanften Rascheln einer Schlange. Jacomer umkreiste die Gruppe stets in ihrer Peripherie, den Bogen meistens gespannt auf der Suche nach etwas Jagdbarem. Immerhin enthielt er sich, auf Affen und langgefiedrige Vögel zu schieÃen. Migal und Ukas gingen oft nebeneinander. Rodraeg schien es, als hätte Migal in dem Faustfechter einen neuen Bestar gefunden, einen kräftigen, deutlich hässlicheren und leicht beeindruckbaren Freund, mit dem man gemeinsame Sache gegen den Rest der Welt machen konnte. Bestar seinerseits hatte sich aus diesem Status längst herausentwickelt. Er war ein Riese ehrenhalber geworden, während Migal doch immer noch im Grunde ein Schläger blieb.
Kinjo Utanti spürte beharrlich seinem im Traum empfangenen Symbol hinterher, konnte es jedoch nirgends entdecken, weder in den Schnörkeln rissiger Baumrinden noch in Wurzelwerk auf dem Boden. Manchmal fürchtete Rodraeg, Kinjo sei einfach nur ein wenig sonderlich und eigentlich kein Geisterseher, aber durch Naenn und Eljazokad hatte Rodraeg die verschiedenen Wirkungsweisen von Magie kennengelernt und wollte sich vor übereilten Urteilen hüten.
Während einer langsamen Aufwärts-Kletterpartie erkundigte Rodraeg sich bei Timbare nach Oobo. Timbare war ehrlich überrascht, dass Rodraeg diesen Namen kannte. Er fragte, woher. Rodraeg erzählte ihm die Geschichte von dem Holzschnitzer Benter Smoi, der das Mammut bei der Rückreise ihres ersten Auftrages mitgenommen und ihnen erzählt hatte, wie er im südwestlichen Regenwald Schiffbruch erlitt und von hölzernen Baumgesichtern
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