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Die Vergangenheit des Regens

Titel: Die Vergangenheit des Regens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tobias O. Meißner
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rückwärts, fing sich dann jedoch wieder an einer Wurzel und wischte sich lachend die Hände an Farnen ab.
    Wenige Sandstriche später passierte Tegden dasselbe. Der stets umsichtig wirkende Gallikoner glitt mit beiden Füßen gleichzeitig aus, hielt sich aber an Ort und Stelle, indem er sich auf den Rücken rollte und die Fußballen gegen ein Abrutschen in den Untergrund stemmte. Er verzog keine Miene, aber alle anderen verdoppelten ihre Umsicht bei diesen strapaziösen Klettereinlagen.
    Als Timbare gerade sagen wollte, dass die Spinnenmenschen sie vielleicht vor diesem schwierigen Weg hatten warnen wollen, verlor Selke Birlen den Halt. Sie wollte sich, ähnlich wie Tegden, einfach auf dem Abhang verkanten, aber der Abhang löste sich unter ihr in Form einer kleinen Lawine. Migal, Rodraeg, Bestar und der Erleuchtete, die direkt hinter Selke gingen, wurden von dem Erdrutsch erfasst, konnten sich aber unter dem Bewurf an Bäumen, Wurzeln und Ranken festhalten. Selke jedoch wurde wie auf einem Schlitten über den linken Rand des Pfades getragen, und dort ging es steil in die Tiefe. Sie schrie gellend auf, als sie in einer Erdkaskade mehr als zehn Schritte abstürzte und unten mit einem schrecklich berstenden Geräusch auf nacktem Fels aufschlug. Ihr Schrei, aufgegriffen und fortgesetzt von panisch aufsteigenden Vögeln, hallte noch immer durch den Urwald, als Timbare, Kinjo, Ijugis, Onouk und Rodraeg sich bereits an die Stelle von Selkes Absturz vorgearbeitet hatten und auf immer noch bröselndem Grund vorsichtig in die Tiefe starrten.
    Â»Ihr Götter!«, entfuhr es Ukas.
    Â»Scheiße!«, bestätigte Migal.
    Ijugis bestand darauf, zu Selke hinabzuklettern. Onouk und Migal sicherten ihn, während er sich an einem Seil hinabließ. Unten konnte er nur noch Selkes Tod feststellen. Er nahm ihr den Proviant, die Ausrüstung und ihre Wurfmesser ab und schloss ihr die weit aufgerissenen Augen. »Es ist besser so«, sagte er mit hartem Gesichtsausdruck, nachdem Onouk und Migal ihn wieder hochgezogen hatten. »Wäre sie schwer verletzt, beide Beine gebrochen oder das Kreuz, hätten wir nicht gewusst, wohin mit ihr in diesem Wald. So hat sie immerhin nicht leiden müssen.«
    Â»Wir können die Zeit erübrigen, sie zu bestatten«, sagte Timbare.
    Ijugis schüttelte den Kopf. »Für einen Krieger Erdbebens gibt es nichts Erstrebenswerteres, als nach dem Tod von Tieren verzehrt zu werden, denn nur so geht man in den Kreislauf allen Lebens ein und dauert ewig fort. Mir taten schon immer all die Leichen leid, die nutzlos in ihren Gräbern verrotten, ohne Nahrung zu sein und Leben zu geben.«
    Â»Meinst du, dass dies eine Falle war?«, fragte Onouk und deutete auf den weggebrochenen Pfad.
    Erneut schüttelte Ijugis den Kopf. »Die meisten von uns waren schon über diese Stelle hinweg. Es war keine Falle. Es war einfach nur ein Unglück.«
    Â»Ein Unglück – und schon ist eine von uns tot«, stellte Ukas Nouis niedergeschlagen fest.
    Â»Das, meine Freunde, ist der Grund, weshalb ich so viele wie möglich mitnehmen wollte auf diese Reise«, sagte Timbare düster. »Damit wenigstens einige am Ziel ankommen, wo auch immer dies liegen mag.«
    Sie setzten, zusätzlich verlangsamt durch einen wie klebrig an ihnen allen haftenden Schockzustand, ihren mühsamen Weg fort.
    Rodraeg fiel es schwer, Selke Birlens Tod zu akzeptieren. Er hatte zwar kaum zehn Worte mit ihr gewechselt und auch nichts über ihr Leben gewusst oder über ihre Gründe, sich dem Erdbeben anzuschließen, aber er bedauerte die Tatsache, dass die Geschichte dieser fünfzigjährigen Frau nun ein abruptes Ende gefunden hatte. War sie eine Mutter gewesen? Eine Mutter, die ihre Kinder zu Grabe getragen hatte? Zweifelsohne war sie die älteste und somit erfahrenste unter den Expeditionsteilnehmern gewesen. Nun war lediglich der Erleuchtete noch ein paar Jahre älter als Rodraeg.
    Er dachte zurück an die erste Mission des Mammuts . Bestar, noch ohne Bart, Hellas, Migal, noch ohne Hinken, und sein eigenes jünger wirkendes Selbst im Regen, auf Landwegen, in Nächten und Unterkünften, im feiernden Dorf, im Kampf gegen Fledersalamander. Ungeschicklichkeit und Misstrauen, aber auch Heiterkeit, eine gewisse Zuversicht, mit der man alles überspielen konnte. Wie in nostalgischen Farben erinnerte sich Rodraeg an diese Reise nach Terrek. Wie

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