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Die Vergangenheit des Regens

Titel: Die Vergangenheit des Regens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tobias O. Meißner
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Erleuchtete schrie wie von Sinnen auf und stürmte mit zwei Langmessern in den Händen auf das nächstliegende Gebüsch zu. Dabei traf ihn etwas, mehrmals, und rüttelte ihn durch, aber er rannte weiter, einen Sturz abfangend, torkelnd wie betrunken. Onouk warf eine Sichel in einen Baum und brach dann zusammen, beide Hände vor die Brust gekrallt. Migal drehte sich um sich selbst, immer schneller, wie ein Kreisel, jaulte dabei wie ein Wolf und schlug mit seinem Schwert in die Luft, wie um Insekten zu verscheuchen. Bestar zitterte, speichelte schaumig, starrte Rodraeg weiterhin aus weit aufgerissenen Augen an und kippte dann schlaff auf die Seite. Rodraeg spürte, wie er von etwas getroffen wurde, an der Schulter. Er blickte an sich hinunter. Ein kleiner Pfeil steckte dort, mit den roten Schwanzfedern eines Urwaldvogels verziert, sodass es aussah, als würde Blut aus der Wunde sprühen, aber die Wunde war gar nicht tief, der gesamte Pfeilschaft nur fingerlang und kaum ins Fleisch gedrungen. Rodraeg spürte, wie seine Gedanken sich dem Rot der Schwanzfedern zuwandten. Ein weiterer Pfeil traf ihn im unteren Rücken. Ein dritter am Handballen. Er schaute sich um, trübe der Blick. Migal fiel, brüllend, wie ein stürzender Baum. Der Erleuchtete war ins Gebüsch hineingeklatscht wie in eine Wasserwand und kämpfte und wütete dort um ihrer aller Leben.
    Die Spinnenmenschen! Die Spinnenmenschen hatten sie überrumpelt und besiegt, und sie hatten nicht einen einzigen von ihnen auch nur zu Gesicht bekommen.
    Rodraeg spürte die Kälte seiner Knochen, die Fremdheit seines Schädels unter seiner Haut. Er zitterte, als hätte er sehr viel Blut verloren. Das Rot der Schwanzfedern. Eine Erinnerung oder eine Vorausschau auf Wunden. Hellas’ Pfeil. Durch die Rippen. Durch das Herz. Durch die Seele, wo das Vertrauen und die Zuneigung wohnten. Durch den Rücken wieder hinaus. Hinaus in die wirre Welt, das knochenkalte All.
    Rodraeg knickte erst auf ein Knie, dann auf beide, dann ruderte er noch kurz mit seinen waffenlosen Händen. Ein vierter Pfeil traf ihn erneut im Rücken. Selbst wenn die Pfeile nur betäubten, dachte er, musste es ein Zuviel an Treffern geben, eine Überdosis Nervengift. Er sah Bewegung, ganz verschwommen. Spinnen, groß wie Menschen, die in schnatternder Sprache miteinander redeten.
    Seine Sinne schwanden ihm, als würde jemand ihm eine Kapuze, in der alle Wahrnehmungen der Welt enthalten waren, vom Kopf reißen und fortschleudern.

    Tjarka sprang gestreckt nach vorne ins Gebüsch. Zwei der gefiederten Kleinpfeile surrten direkt hinter ihren Füßen ins Farngras. Ihre Gefährten schrien gurgelnd, doch es hatte keinen Sinn, ihnen helfen zu wollen. Tjarka hatte alles falsch gemacht. Einzig und allein darauf achtend, die Fährte des königlichen Tempelsuchers nicht zu verlieren, war es ihr nicht aufgefallen, dass sie von Gegnern umzingelt worden waren, Gataten oder Kenekenkelu oder andere, es spielte keine Rolle mehr. Tjarka musste entkommen, um jeden Preis entkommen, wenn es ihr noch irgendwie gelingen sollte, ihren dummen Fehler wiedergutzumachen.
    Sie rollte und hechtete sich geduckt vorwärts. Nur einmal blickte sie sich um, und sah, wie alle ihre Gefährten auf einer lichten Stelle von Pfeilen umschwirrt und getroffen wurden. Der Erleuchtete schien einen Gegenangriff zu unternehmen, aber es schien eine Geste der Hilflosigkeit zu sein?
    Beinahe stieß Tjarka mit einem der Angreifer zusammen und erschrak. Der Mann war nackt, schwarz glänzend, mit öligen Mustern bemalt. Er lauerte auf allen vieren hinter einem vertrockneten Strauch, auf allen vieren wie eine Spinne, die Gelenke nach außen verdreht, Bauch, Geschlecht und Gesicht nach oben gerichtet, ein Blasrohr zwischen den spitz gefeilten Zähnen. Das Gesicht sah schrecklich aus, verformt und achtäugig, aber das konnten auch Malereien sein. Er spuckte zwei Pfeile nach Tjarka, doch sie entging ihnen, indem sie einfach nicht innehielt und weiterhüpfte, wie ein Frosch auf der Flucht, eine springende Wildkatze, ein Eichhörnchen mit Bewegungen, die als Wellen durch den Leib flossen. Als sie wieder so etwas wie griffigen Boden unter beide Füße bekam, begann sie zu rennen. Der Wald schien nach ihr zu schlagen, doch sie machte sich noch schlanker und biegsamer als ohnehin schon und preschte hindurch. Der Spinnenmann setzte hinter ihr her, von weiter hinten kam

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