Die vergessene Frau
stieß einen weiteren erstickten Schrei aus.
Einen Moment stand Franny fassungslos da, so entsetzt, dass sie sich nicht bewegen konnte. Noch hatte niemand im Zimmer sie bemerkt. Sie wollte Liam gerade anschreien, er solle aufhören, aber bevor sie auch nur einen Ton herausbrachte, sprang Cara auf und stürzte sich wie ein Stier mit gesenktem Kopf und einem mächtigen Aufschrei auf den Mann. Sie war so schnell, dass Liam sie gar nicht kommen sah, und als sie ihn rammte, ließ er mit einem spitzen Schrei Danny los, der prompt auf den Boden fiel.
Doch damit gab sich Cara nicht zufrieden. Fest entschlossen, ihren Freund zu retten, begann sie mit beiden Fäustchen auf Liams Bein einzutrommeln. Liam hatte schon die Hand ausgezogen, um dem Mädchen eine Ohrfeige zu verpassen und es wie eine Fliege wegzuschlagen. In diesem Moment erwachte Franny wieder zum Leben.
»Wage es nicht!«, schrie sie und stürmte los, um sich zwischen Cara und dem Angreifer aufzubauen.
Erbost über die Unterbrechung fuhr Liam herum. »Sie hat mich angegriffen.«
»Aber nur, weil du Danny beinahe umgebracht hast!« Der Mann keuchte schwer, sein Gesicht war rot vor Zorn, aber Franny ließ sich nicht einschüchtern. Sie kniete vor dem kleinen Jungen nieder und schob ihm die Haare aus dem Gesicht. Schon hatte sich eine blaue Beule auf seiner Stirn gebildet, und seine Lippe war aufgeplatzt und blutete. »Ist alles in Ordnung, Liebes?«
Danny hielt sich den Bauch, in den Liam ihn getreten hatte. »Klar.« Um seine Worte zu unterstreichen, rappelte er sich auf. Er schwankte leicht, doch es gelang ihm, nicht umzufallen.
Froh, dass sie Danny nicht zum Arzt bringen musste, drehte sich Franny wieder zu Liam um. »Was um Gottes willen war denn los?«
»Der Bursche war frech zu mir.«
»Und das hat dir das Recht gegeben, ihn zu treten?« Franny holte tief Luft und versuchte sich zu beruhigen. Es hatte keinen Sinn, einen Streit vom Zaun zu brechen, damit war niemandem geholfen. Sie musste vernünftig mit Liam reden, damit so etwas nicht wieder vorkam. »Um Himmels willen«, beschwor sie ihn. »Danny ist doch noch ein Kind.«
Aber falls sie gehofft hatte, Liam so zu beschämen, dass er seinen Fehler einsah, dann hatte sie sich vergeblich bemüht. »Was geht dich das an?«, feixte er. »Bald bin ich der Mann im Haus, und dann tue ich, was ich für richtig halte, wenn ich merke, dass mir so ein Balg frech kommen will. Also, wenn du nicht willst, dass deinem kleinen Biest wehgetan wird, dann pass gut auf, dass mir das Kind nicht in die Quere kommt!«
Nach einem letzten finsteren Blick auf Franny stampfte er aus dem Raum und knallte die Tür so fest hinter sich zu, dass das ganze Haus erbebte.
Als Liam abends ins Pub gegangen war, versuchte Franny mit Annie über das zu reden, was sie an jenem Tag erlebt hatte. Aber ihre Freundin wollte offenkundig nichts davon hören.
»Ach, du weißt doch, wie Danny manchmal ist«, meinte sie wegwerfend. »Manchmal könnte man meinen, meinem Jungen ist der Teufel in den Leib gefahren. Wahrscheinlich tut es ihm nur gut, wenn ihm ein Mann wie Liam ein bisschen Verstand in den Dickschädel prügelt.«
»Du hast also vor, ihn hier einziehen zu lassen?« Franny gab sich keine Mühe, ihr Entsetzen zu verhehlen. Sie hatte gehofft, Liam hätte sie nur ärgern wollen, als er vorhin behauptet hatte, bald sei er der Mann im Haus.
Annie zuckte mit den Achseln. »Geklärt ist das noch nicht.«
Franny spürte, wie sie eine eisige Gänsehaut überlief. Es machte sie rasend, dass ihre sonst so vernünftige Freundin bei diesem Mann wie vernagelt war. Aber es sah nicht so aus, als würde Franny noch etwas erreichen können, und wenn Annie entschlossen war, über Liam Earleys schnelle Fäuste und seine Trinkerei hinwegzusehen und ihn bei sich wohnen zu lassen, dann konnte Franny unmöglich ihre Tochter in ihrem Haus zurücklassen, wo sie diesem brutalen Schwein schutzlos ausgeliefert war. Offenbar würde sie ihren Traum von Hollywood doch aufgeben müssen. Eine Woge der Enttäuschung wusch über sie hinweg. Es war so furchtbar – endlich hielt sie das in Händen, was sie sich mehr als alles in der Welt gewünscht hatte, und nun wurde es ihr grausam entrissen. Heiße Tränen schossen ihr in die Augen. Es musste einen Ausweg geben.
Dann dämmerte ihr die Lösung. Es gab tatsächlich noch jemanden, der sich um Cara kümmern konnte – jemanden, den sie nicht besonders mochte, dem sie jedoch vertrauen konnte. Es war keine ideale
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