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Die vergessene Frau

Die vergessene Frau

Titel: Die vergessene Frau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tara Hayland
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die Erste gewesen, die zugegeben hätte, dass Theresa schon immer ein wenig eigenartig gewesen war. Aber in letzter Zeit benahm sie sich noch merkwürdiger als sonst. Angefangen hatte alles ein paar Wochen nach ihrer Rückkehr aus England. Cara hatte den Nachmittag über in ihrem kleinen Gemüsegarten gearbeitet. Als sie in die Küche trat, schlug ihr der Hefegeruch von frisch gebackenem Brot entgegen. Theresa stand gebückt am Herd und sah zu ihr auf.
    »Da bist du ja, Franny. Ich habe mich schon gefragt, wo du steckst.«
    Es war nicht das erste Mal, dass Theresa die Namen ihrer Tochter und ihrer Enkelin verwechselte. Wie jedes Mal antwortete Cara geduldig: »Ich bin nicht Franny. Ich bin Cara. Das weißt du doch.«
    Normalerweise reichte diese kurze Erklärung, um das Gedächtnis ihrer Großmutter wieder in Gang zu bringen. Diesmal korrigierte sich ihre Großmutter jedoch nicht, sondern sah sie streng an. »Was soll das, Kind? Ist das ein neuer Streich, den du ausgeheckt hast?«
    »Nein, natürlich nicht …«
    Aber Theresa schnitt ihr das Wort ab. »Du kannst gleich damit aufhören. Lauf und hol deinen Vater und Maggie zum Essen.«
    Cara wusste nicht, was sie dazu sagen sollte, und starrte ihre Großmutter unschlüssig an.
    »Na?«, fuhr Theresa sie an. »Steh nicht so dumm da und glotz mich an, Mädchen. Setz dich in Bewegung.«
    »Aber ich weiß nicht, von wem du redest«, sagte Cara hilflos. »Hier sind doch nur wir beide.«
    Das war offensichtlich die falsche Erwiderung. In zwei langen Schritten hatte Theresa die Küche durchmessen und die Hand ausgezogen. Das Mädchen wimmerte auf, als der Schlag es traf.
    »Du freches Früchtchen!« Aus Theresas Augen loderte heißer Zorn. »Für dich gibt es heute kein Abendessen, Frances Healey. Stattdessen kannst du auf dein Zimmer gehen und darüber nachdenken, was du getan hast.«
    Cara erkannte, dass es keinen Sinn hatte, mit ihrer Oma zu streiten, und ging, ihren schmerzenden Hintern reibend, nach oben. Sie wusste zwar nicht, warum Granny vergessen hatte, wie sie hieß, doch eines stand fest: Sie wusste noch genau, wie sie zuschlagen musste.
    »Brauchst du Hilfe da drin, Mam?«, rief Maggie von der Stube aus. »Mam? Hast du mich gehört?«
    Maggie wartete kurz ab, doch es kam keine Antwort. Seufzend ging sie in die Küche, wo Theresa eigentlich Tee machen wollte. Stattdessen stand sie an der Spüle und starrte gedankenverloren aus dem Fenster. Maggie ging zu ihr und legte die Hand auf den Arm ihrer Mutter. »Mam? Ist alles in Ordnung?«
    Wie im Schlaf drehte sich Theresa zu ihrer Tochter um, aber nichts in ihrem Blick deutete darauf hin, dass sie Maggie erkannte. Maggie runzelte die Stirn und fragte sich, ob sie sich ernsthaft Sorgen machen musste. Ihre Mutter war schon immer ein bisschen exzentrisch gewesen, und nachdem sie die letzten Jahre ganz allein hier verbracht hatte, schien sie enger denn je mit ihrem Haus verbunden zu sein und die Kate überhaupt nicht mehr verlassen zu wollen, nicht einmal für eine Nacht. Regelmäßig lud Maggie ihre Mutter an Weihnachten und Ostern ein, und jedes Mal sagte Theresa erst zu, bevor sie in letzter Minute einen Grund fand, doch nicht zu kommen. Dass sie ihre Familie überhaupt nicht sehen wollte, war zwar ein bisschen befremdlich, aber ihre Mam war eben alt und festgefahren, tröstete sich Maggie jedes Mal.
    Doch in letzter Zeit erschien ihr das Verhalten ihrer Mutter nicht mehr nur sonderlich. Immer wenn Maggie sie besuchte, wirkte Theresa eigenartig abwesend. Zum ersten Mal war Maggie das bei einem ihrer Besuche vor ein paar Monaten aufgefallen. Sie hatte mit ihrem Mann Conrad darüber gesprochen, und beide waren übereingekommen, dass sie ihre Mutter öfter besuchen und im Auge behalten sollte. Dann konnten sie schneller reagieren, falls sich die Situation tatsächlich verschlimmern sollte.
    Als sie Theresa so gedankenleer am Fenster stehen sah, fragte sich Maggie wieder einmal, ob inzwischen der Zeitpunkt gekommen war, etwas zu unternehmen. Dann sah sie sich allerdings in der Küche um, und ihr kam der Gedanke, dass sie vielleicht zu heftig reagierte. Ihre Mutter war vielleicht ein bisschen zerstreut, aber offenbar konnte sie immer noch sehr gut für sich sorgen. Das Haus war makellos sauber, wenn auch abgewohnt, und auf dem Küchentisch standen frisch zubereitete belegte Brote und Kuchen. Theresa selbst sah sauber und gut genährt aus. Bestimmt hätte sie es ihr angesehen, wenn sie allmählich den Verstand verloren

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