Die vergessene Frau
ich Ihnen beiden eine gute Nacht«, murmelte sie und wich rückwärts aus der Tür. »Und noch einmal meinen herzlichen Glückwunsch.«
»Also, das war reichlich unhöflich«, neckte Franny ihren Mann, als die Schritte der Haushälterin im Gang verhallt waren.
»Wäre es dir lieber gewesen, wenn sie hiergeblieben wäre?«, fragte er provozierend.
Ohne Frannys Antwort abzuwarten, kam er auf sie zu, nahm ihr das Glas aus der Hand und stellte es auf einen nahen Beistelltisch. Dann hob er die Hand und löste die Haarklammer, die ihre Frisur hielt. Franny schüttelte ihr langes rotes Haar über ihre Schultern aus. Max nickte wohlwollend. »So ist es besser.«
Dann senkte er den Kopf und küsste sie. Als der Kuss anhielt, spürte sie, wie sich ihre anfängliche Abneigung gegen das so einsame, gespenstische Schloss in Luft auflöste. Seine Lippen strichen über ihren Nacken, seine Finger öffneten ihre Jacke und schoben sie dann über ihr Schlüsselbein nach hinten. Sein Mund ertastete die empfindsame Mulde darüber, und sie presste sich nach Luft schnappend gegen ihn.
Er spürte ihre Reaktion und richtete sich kurz wieder auf. Bevor sie protestieren konnte, hatte er sich vorgebeugt und sie auf seine Arme gehoben.
»Max!«, wehrte sie sich. »Was in aller Welt soll das werden?«
Er sah sie gut gelaunt an. »Hast du mir nicht erzählt, dass du davon immer geträumt hast?«
Erst begriff sie nicht, wie er das meinte. Doch dann, als er sie erst in die Halle und dann die große geschwungene Treppe hinauftrug, fiel der Groschen: Er spielte die Szene aus Vom Winde verweht nach, in der Rhett Butler betrunken und frustriert Scarlett O’Hara ins Bett schleppt.
Sie lachte begeistert. »Du hast das nicht vergessen!«
»Natürlich nicht.« Er schaute sie ganz ernst an. »Ich habe es dir doch versprochen – ich werde alles tun, um dich glücklich zu machen.«
Inzwischen waren sie vor einer Tür angekommen, hinter der sich vermutlich seine persönliche Suite befand. Statt Franny abzusetzen, schob er die Tür mit der Schulter auf. Dahinter verbarg sich ein verschwenderisch und üppig eingerichtetes Zimmer, das von einem riesigen Himmelbett beherrscht wurde. Überall waren Hunderte von Kerzen aufgestellt worden, die mit ihren wabernden, Schatten werfenden Flammen den Raum in ein weiches, romantisches Licht tauchten. Auf dem Bett war über der cremefarbenen Tagesdecke mit gleichmäßig platzierten Rosenblättern ein perfektes Herz ausgelegt. Die Angestellten mussten eine Ewigkeit gebraucht haben, um alles vorzubereiten – auf Max’ Anweisung hin natürlich.
»Oh, ist das schön!«, hauchte Franny und schlang die Arme fester um seinen Hals.
»Es freut mich, dass es Gnade vor deinem Auge findet«, erwiderte ihr neuer Gemahl.
Und dann ließ er mit einem knappen Tritt die Schlafzimmertür zufallen.
Kapitel 21
Als Cara las, dass ihre Mutter geheiratet hatte, war sie beinahe erleichtert. Auf so etwas hatte sie gewartet – den nächsten Vorwand, warum Franny, so wie immer, sie nicht zu sich holen konnte. Jetzt, wo Caras schlimmste Befürchtungen wahr geworden waren, konnte sie sich endlich in ihr Schicksal fügen und aufhören, sich Hoffnungen zu machen, denn nun stand fest, dass sie endgültig verlassen worden war.
Nicht dass ihre Mutter das jemals zugegeben hätte, nicht einmal in diesem Brief. Sogar diesmal kamen die üblichen Ausflüchte: Die Hochzeit fand so überstürzt statt, dass ich keine Zeit hatte, Max in aller Ruhe von dir zu erzählen , gefolgt von den unausweichlichen Versicherungen: Sobald sich alles beruhigt hat, werde ich mit ihm sprechen. Du kannst sicher sein, dass wir dich dann unverzüglich zu uns holen werden! Aber mit zehn Jahren war Cara inzwischen zu alt für solche Märchen. Das Mädchen fragte sich flüchtig, ob seine Mutter eigentlich selbst die Lügen glaubte, die sie regelmäßig spann. Wahrscheinlich, erkannte es. Franny wollte nie jemandem schaden – aber gleichzeitig war sie so gedankenlos, dass sie anderen oft Schmerzen zufügte, ohne es überhaupt zu merken.
Mit dieser äußerst erwachsenen Einsicht steckte Cara den Brief zu den vielen anderen unter ihrem Bett und verfasste einen ebenso umsichtigen wie ausdruckslosen »Glückwunschbrief«. Danach beschloss sie, nicht weiter über die Sache nachzudenken.
Sie hatte noch einen guten Grund, sich nicht allzu lange mit der Hochzeit ihrer Mutter aufzuhalten – sie hatte dringendere Probleme.
Mit ihrer Großmutter stimmte etwas nicht. Cara wäre
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