Die Vergessenen. Thriller (German Edition)
Bank sitzt und eine Zigarette raucht. Kimski lässt sich neben ihm nieder.
»Auch eine?«
Sebastian streckt ihm eine halbvolle Zigarettenschachtel hin. Kimski lehnt dankend ab.
»Sie sind also Privatdetektiv?«
»Ja«, sagt Kimski und fragt sich, woher sein Gegenüber das weiß.
»Cool.«
»Und Sie sind der Pfleger von Herrn Kampowski?«
»Vorübergehend, ich mache hier ein Praktikum.«
»Praktikanten sind heutzutage auch immer älter«, denkt Kimski und sieht ihn verwundert an.
»Na ja, eigentlich bin ich Arzt, Neurologe. Im September werde ich die Praxis eines Kollegen übernehmen, der in Rente geht. Mein Vertrag im Krankenhaus ist allerdings schon zum Ende des letzten Jahres ausgelaufen. Als ich von dem Angebot gehört habe, einen ALS-Patienten zu pflegen, habe ich sofort zugesagt. ALS ist eine interessante Nervenkrankheit – und eine seltene dazu. Ich sehe es als großartige Gelegenheit, Praxiserfahrung außerhalb des Krankhausbetriebs zu sammeln.«
»Was genau macht eigentlich ein Neurologe?«
»Neurologen sind Nervenärzte. Wir behandeln ganz verschiedene Dinge, von der Migräne bis zum Hirntumor.«
»Verstehe. Sagen Sie mal, ich habe da noch eine andere Frage. Sie haben den alten Mann täglich um sich, erzählt er manchmal auch was vom Krieg?«
Sebastian lacht laut auf: »Nein. Er redet grundsätzlich nicht mehr viel. Er nähert sich langsam aber sicher seinem Ende. Unter uns gesagt, ich kann froh sein, wenn er noch das Ende meines Praktikums erlebt.«
»Hab ich mir schon gedacht«, murmelt Kimski.
»Ich denke, dass Kampowski die Vergangenheit schon lange begraben hat. Im Keller hat er ein paar Aktenschränke stehen und ich glaube, dass er darin alte Unterlagen aufbewahrt, die bis in den Krieg zurückreichen. Ich habe da mal etwas gesehen, als ich die Fechtausrüstung in den Keller brachte und mich dort unten verlaufen habe ... ist ein riesiges Gewölbe.«
»Sie wissen nicht zufällig, worum es sich bei den Unterlagen handelt?«
»Nein, tut mir leid, so genau habe ich sie mir nicht angesehen. Geht mich ja nichts an.«
»Klar.« Kimski erhebt sich und verabschiedet sich.
»Wenn ich Ihnen noch irgendwie helfen kann, können Sie mich gern jederzeit fragen«, sagt Sebastian, als er schon im Begriff ist zu gehen. »Hier«, er kramt eine Visitenkarte aus dem Geldbeutel, der in seiner Gesäßtasche steckt, und drückt sie Kimski in die Hand. »Hier haben Sie meine Handynummer.«
Kimski betrachtet die Karte einen Moment. Sebastian Maibau. Neurologe . Er steckt sie ein.
Zur selben Zeit sitzt Kriminaloberrat Holger Benesch im Konferenzraum der Polizeidirektion Heidelberg und hält sich den Kopf. Vor ihm auf dem Tisch liegt eine Packung Kopfschmerztabletten neben einem Glas Wasser. Außer ihm befinden sich noch die dreizehn Mitglieder der Sonderkommission Sturm, der er seit drei Tagen vorsteht, im Raum.
Einer der Kollegen steht am Flipchart auf der gegenüberliegenden Seite des Zimmers und wedelt mit einem Edding in der Luft. Benesch hat Mühe, sich auf dessen Worte zu konzentrieren. Während er eine weitere Tablette einnimmt – die dritte an diesem Tag –, muss er an das Buch denken, das ihm seine Frau vor ein paar Wochen untergejubelt hat: Burn-out. Symptome erkennen und Auswege finden . Wie es seine Art ist, hat er sofort bestritten, dass er darunter leidet. Benesch hatte ein bisschen in dem Buch geblättert, als seine Frau Marianne nicht zu Hause war. Was steht noch mal darin? Welche typischen Symptome gibt es? Schlafstörungen, die Vernachlässigung sozialer Kontakte außerhalb des beruflichen Umfelds, Angstzustände, Konzentrationsschwäche, pausenloses
Arbeiten. Zugegeben, eigentlich trifft alles auf ihn zu. Allerdings erübrigt sich die Frage, ob diese Folgen zu umgehen sind, wenn er doch ständig die Leitung einer Sonderkommission übernehmen muss, bei der alle Beteiligten auf unbegrenzte Zeit jeden Tag mindestens vier Überstunden ableisten müssen. Vielleicht ist es nicht das Burn-out-Syndrom, das ihn plagt. Vielleicht hat er sich einfach nur für den falschen Beruf entschieden.
»So weit erst mal. Holger, hast du noch was zu ergänzen?«
»Bitte?« Er räuspert sich. »Ich denke nicht. Danke, das war sehr aufschlussreich. Aber könntest du alles noch einmal zusammenfassen?«
»Aber das war doch schon die Zusammenfassung.«
»Ehrlich?«, denkt Benesch, aber er hat doch noch nichts an der Tafel festgehalten. »Schreib doch einfach noch mal alles auf, damit wir es uns besser
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