Die vergessenen Welten 02 - Die verschlungenen Pfade
Schritte vor ihm stand, fand Drizzt, daß seine Überlebenschancen in diesem Augenblick bei weitem besser waren als die seiner Freunde in Bryn Shander. »Trotzdem sind meine Meister überzeugt, daß der Turm in der bevorstehenden Schlacht mit den Menschen beschädigt werden kann«, bluffte er.
Errtu nahm sich einen Augenblick Zeit, um über Drizzt nachzudenken. Das Auftauchen der Dunkelelfen machte den einfachen Plan des Tanar-Ri, Crenshinibon von Kessell zu erben, komplizierter. Ihm war nur zu klar, daß die mächtigen Dunkelelfenfürsten der großen Stadt Menzoberranzan das Relikt bekommen würden, falls sie wirklich darauf aus waren. Kessell konnte ihnen selbst mit der Kraft des Kristalls auf keinen Fall standhalten. Die bloße Anwesenheit dieses Dunkelelfen änderte seine Beziehung zu Crenshinibon vollauf. Wie sehr Errtu sich doch auf einmal wünschte, Kessell einfach zu verschlingen und mit dem Relikt zu fliehen, bevor die Dunkelelfen sich zu sehr einmischten!
Allerdings hatte Errtu die Dunkelelfen bisher niemals als Feinde betrachtet, und für den tolpatschigen Zauberer hatte der Tanar-Ri nur Verachtung übrig. Vielleicht würde ein Bündnis mit den Dunkelelfen für beide Seiten Vorteile bringen.
»Sag mir, unübertroffener Kämpfer der Finsternis«, drängte Drizzt weiter, »ist Crenshinibon in Gefahr?«
»Pah!« schnaufte Errtu. »Selbst der Turm, der doch nur ein Abbild von Crenshinibon ist, ist unempfindlich. Er nimmt alle Angriffe in sich auf, die sich gegen seine Spiegelwände richten, und wirft sie auf ihre Urheber zurück! Nur der pulsierende Kristall der Kraft, das eigentliche Herz von Cryshal-Tirith, ist verwundbar, aber der ist sowieso gut verborgen.«
»Im Turm?«
»Natürlich.«
»Aber wenn jemand in den Turm gelangen sollte«, grübelte Drizzt, »wie gut ist der Schutz für das Herz dann noch?«
»Ein Eindringen ist undenkbar!« gab der Tanar-Ri zurück. »Es sei denn, den Fischern von Zehn-Städte steht ein Geist zu Diensten oder ein Hohepriester oder ein Erzmagier, der den Enthüllungszauber werfen kann. Deine Meister wissen doch auch, daß der Eingang von Cryshal-Tirith für jedes Wesen, das von der Ebene stammt, auf der der Turm steht, unsichtbar und folglich unauffindbar ist. Kein Lebewesen von dieser materiellen Welt, einschließlich deiner Rasse, kann die Tür finden!«
»Aber…«, stürmte Drizzt begierig auf ihn ein.
Errtu unterbrach ihn. »Selbst wenn jemand zufällig in das Gebäude hineingeraten sollte«, knurrte er, ungeduldig über den anhaltenden Strom wilder Spekulationen, »müßte er an mir vorbeikommen. Und Kessells Macht im Turm ist wirklich beachtlich, denn der Zauberer ist zu einer Erweiterung von Crenshinibon geworden, ein lebendiges Ventil für die unermeßliche Kraft und Stärke des Gesprungenen Kristalls! Das Herz liegt genau hinter dem Brennpunkt von Kessells Wechselbeziehung mit dem Turm, oben, direkt unter der Spitze…« Der Tanar-Ri brach ab, denn plötzlich machte ihn Drizzts Fragerei mißtrauisch. Falls die doch so weisen Dunkelelfenfürsten wirklich an Crenshinibon interessiert waren, mußten sie dann nicht mehr über seine Stärken und Schwächen wissen?
Auf einmal erkannte Errtu seinen Fehler. Wieder sah er Drizzt prüfend an, aber diesmal aus einem anderen Blickwinkel. Als er ihn anfangs gesehen hatte und zunächst nur über die bloße Anwesenheit eines Dunkelelfen in dieser Region verblüfft gewesen war, hatte er an Drizzts Erscheinung nach Hinweisen gesucht, um herauszufinden, ob seine Gestalt eine Täuschung war, ein geschickter, aber dennoch einfacher Gestaltumwandlungstrick, der im Vermögen sogar eines kleinen Magiers lag.
Nachdem Errtu sich überzeugt hatte, daß wirklich ein Dunkelelf und keine Illusion vor ihm stand, hatte er Drizzts Geschichte zunächst für glaubwürdig gehalten, da sie typischen Eigenarten der Dunkelelfen entsprach.
Doch jetzt konzentrierte sich der Tanar-Ri auf die äußeren Hinweise und betrachtete die Gegenstände, die Drizzt trug, und den Ort, den er als Treffpunkt ausgewählt hatte. Nichts, was Drizzt bei sich hatte, nicht einmal die Waffen an seinen Hüften, strahlte die klar erkennbare magische Eigenschaft der Unter welt aus. Vielleicht hatten die Dunkelelffürsten ihre Spione für ihre Mission in der Oberflächenwelt angemessen ausgerüstet, überlegte Errtu. Aufgrund seines Wissens über die Dunkelelfen, das er während seiner vielen Dienstjahre in Menzoberranzan erworben hatte, war die Anwesenheit dieses
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