Die vergessenen Welten 05 - Der magische Stein
Das Bild der blauvioletten Augen des Dunkelelfen, wie er von der Felswand auf ihn gestarrt hatte, als der Drache in die Schlucht stürzte, blieb fest in Bruenors Erinnerung haften. Auch jetzt, Wochen später, soweit er es beurteilen konnte, rief er sich das Bild des unbezähmbaren Drizzt Do'Urden wieder ins Gedächtnis zurück, um gegen seine aufsteigende Mutlosigkeit in dieser aussichtslosen Situation anzukämpfen. Denn angesichts der Wände, die sich steil und glatt erhoben, konnte er unmöglich aus der Schlucht gelangen. Seine einzige Möglichkeit war der Tunnel, der von der Sohle der Schlucht abzweigte. Er konnte versuchen, sich dort durch die unteren Minen zu schlagen.
Und durch eine Armee von Dunkelzwergen-Duergar, die jetzt erst recht in Alarmbereitschaft waren, denn der Drache Trübschimmer, den Bruenor getötet hatte, war ihr Herrscher gewesen.
Er war weit gekommen, und jeder Schritt hatte ihm die Freiheit ein wenig näher gebracht. Aber jeder Schritt führte ihn auch näher an die Hauptarmee der Duergar heran. Schon jetzt konnte er das Trommeln der Öfen in der großen Unterstadt hören, wo es zweifellos von dunklem Abschaum wimmelte. Bruenor wußte, daß er dort hindurch mußte, um zu den Tunneln zu gelangen, die zu den höheren Ebenen führten.
Schon hier, in der Dunkelheit der Minen, konnte seine Verkleidung einer näheren Untersuchung nicht standhalten. Wie würde es ihm da in der grell beleuchteten Unterstadt ergehen, wo Tausende von Dunkelzwergen herumliefen?
Bruenor verdrängte diesen Gedanken und rieb sich noch mehr Asche ins Gesicht. Erst einmal wollte er sich darüber keine Sorgen machen. Er würde schon einen Weg finden. Er hob Axt und Schild auf und steuerte auf die Tür zu.
Dort angekommen, schüttelte er lächelnd den Kopf, denn der zähe Duergar neben der Tür wurde gerade wieder wach und versuchte aufzustehen.
Bruenor schlug ihn ein drittes Mal gegen die Wand und ließ seine Axt lässig auf seinen Kopf niedersausen, als er umfiel. Jetzt würde er sicher nicht mehr aufwachen. »Dreiundzwanzig«, zählte der mächtige Zwerg grimmig, als er in den Korridor hinaustrat.
Das Zuschlagen der Tür hallte in der Dunkelheit wider, und als es erstarb, hörte Bruenor wieder das Trommeln der Öfen.
Die Unterstadt — seine einzige Chance.
Er beruhigte sich mit einem tiefen Atemzug. Dann schlug er entschlossen seine Axt gegen seinen Schild und stapfte den Korridor hinunter auf das lockende Geräusch zu.
Es war Zeit, daß er es hinter sich brachte.
Der Korridor krümmte und schlängelte sich und endete schließlich in einem niedrigen Bogengang, der in die hell erleuchtete Höhle führte.
Zum ersten Mal seit fast zweihundert Jahren erblickte Bruenor Heldenhammer wieder die große Unterstadt von MithrilHalle. Sie war in einer riesigen Schlucht gelegen und von Wänden umgeben, in die reihenweise Stufen gehauen waren, die zu reich verzierten Türen führten. Einst hatte dieser gewaltige Saal die ganze Sippe Heldenhammer beherbergt, wobei noch viele Räume frei gewesen waren.
Alles war auch jetzt noch so, wie der Zwerg es in Erinnerung hatte, und auch jetzt, wie in den verflossenen Jahren seiner Jugend, brannten die Öfen, und auf dem Boden wimmelte es von gebeugten Gestalten, von Zwergenarbeitern. Wie oft hatte der junge Bruenor mit seinen Freunden auf diesen prächtigen Platz hinuntergeschaut und dem Geklimper der Schmiedehämmer und dem tiefen Seufzen der großen Blasebälge gelauscht?
Bruenor verscheuchte diese schönen Erinnerungen, als ihm wieder einfiel, daß diese gebückt dastehenden Arbeiter böse Dunkelzwerge waren und nicht seine Verwandten. Er richtete seine Gedanken wieder auf die Gegenwart und die Aufgabe, die vor ihm lag. Irgendwie mußte er diese offene Schlucht durchqueren und zu den Türreihen auf der anderen Seite gelangen, zu einem Tunnel, der in die höheren Ebenen der Anlage führte.
Das schlurfende Geräusch von Stiefeln ließ ihn in den Schatten des Tunnels zurückweichen. Seine Hand spannte sich um den Griff seiner Axt, und er wagte nicht einmal mehr, Luft zu holen. Er fragte sich, ob der Augenblick einer letzten Ruhmestat ihn schließlich eingeholt hatte. Eine Patrouille schwerbewaffneter Duergar marschierte durch den Bogengang. Glücklicherweise warfen sie nur einen flüchtigen Blick in den Tunnel.
Bruenor seufzte tief und schalt sich selbst für seine Trödelei. Er konnte sich keine Verzögerung erlauben, und jeder Augenblick, den er dort verweilte, war ein
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