Die vergessenen Welten 09 - Brüder des Dunkels
und eine neue Erkenntnis überkam ihn. »Du mußt solche Dinge verstehen, meine ewige Freundin«, sagte der Drow. »Was habe ich in deiner Lebensspanne für eine Bedeutung? Wie viele andere hast du beschützt, wie du mich beschützt, meine Guenhwyvar, und wie viele wird es noch geben?«
Drizzt lehnte sich an den Berghang und blickte erst zu Catti-brie und dann zu den Sternen hinauf. Er war traurig, und dennoch war es auch beruhigend, über diese Dinge nachzudenken, so wie ein ewiges Spiel, wie geteilte Gefühle, wie Erinnerungen an Wulfgar. Drizzt sandte seine Gedanken gen Himmel, hinauf zum Baldachin der Sterne, und ließ sie dort am unaufhörlich klagenden Wind zerschellen.
Seine Träume waren voller Bilder von Freunden, von Zaknafein, seinem Vater, von Belwar, dem SvirfneblinGnomen, von Deudermont, dem Kapitän der Seekobold, von Regis und Bruenor, von Wulfgar und, am meisten von allen, von Catti-brie.
Es war der ruhigste und erquickendste Schlaf, den Drizzt Do'Urden je genossen hatte.
Guenhwyvar betrachtete den Drow einige Zeit, bevor sie ihren großen Katzenkopf auf die breiten Pranken legte und ihre grünen Augen schloß. Drizzts Bemerkungen hatten ins Schwarze getroffen, natürlich mit Ausnahme seiner Unterstellung, daß sie sich in den kommenden Jahrhunderten kaum mehr an ihn erinnern würde. Guenhwyvar hatte in der Tat in den vergangenen Jahrtausenden und noch länger den Beschwörungen einer Vielzahl von Herren Folge geleistet; die meisten von ihnen waren gut gewesen, einige bösartig. An einige erinnerte sich der Panther, an andere nicht, aber Drizzt...
Nie würde Guenhwyvar den abtrünnigen Dunkelelfen vergessen, dessen Herz so stark und so gut war und dessen Loyalität der des Panthers in nichts nachstand.
TEIL 2
Der Angriff des Chaos
Später nannten es die Barden der Reiche stets die Zeit der Unruhe, die Zeit, als die Götter aus den Himmeln geworfen wurden und ihre Avatare unter den Sterblichen wandelten. Es war die Zeit, da die Tafeln des Schicksals gestohlen worden waren und so der Zorn Aos, des Oberherren aller Götter, geweckt wurde. Als die Magie unzuverlässig wurde und daraufhin gesellschaftliche und religiöse Hierarchien, die sooft auf magischer Stärke errichtet sind, ins Chaos stürzten.
Ich habe viele Berichte von fanatischen Priestern über ihre Begegnungen mit den jeweiligen Avataren gehört, wilde Geschichten von Männern und Frauen, die behaupten, ihre Gottheiten erblickt zu haben. Viele andere haben sich in dieser wirren Zeit einer Religion angeschlossen, wie verdreht sie auch sein mochte, nachdem sie angeblich das Licht und die Wahrheit erblickt hatten.
Ich bezweifle diese Behauptungen nicht und würde die Wahrhaftigkeit ihrer Begegnungen niemals öffentlich in Frage stellen. Ich bin froh für jene, die inmitten des Chaos eine Bereicherung ihres Lebens finden konnten; ich freue mich für jeden, der durch geistige Führung zur Zufriedenheit findet.
Aber was ist mit dem Glauben?
Was ist mit Treue und Loyalität? Mit vollständigem Vertrauen? Glaube wird nicht durch faßbare Beweise erzeugt. Er kommt aus dem Herzen und der Seele. Wenn jemand den Beweis für die Existenz eines Gottes benötigt, dann wird dadurch die Essenz der geistigen Natur herabgewürdigt zur reinen Sinnlichkeit, und wir haben damit das Heilige auf das Logische reduziert.
Ich habe das Einhorn berührt, das so selten und kostbar ist, das Symbol der Göttin Mielikki, die mein Herz und meine Seele gefangenhält. Dies geschah, bevor jene Zeit der Unruhe ausbrach, und doch könnte ich, würde ich die Geisteshaltung jener teilen, die behaupten, Avatare gesehen zu haben, dasselbe von mir sagen. Ich könnte sagen, daß ich Mielikki berührt habe, daß sie mir in einem magischen Hain in der Nähe des Toter-Ork Passes erschienen ist.
Das Einhorn war Mielikki und doch auch nicht, so wie der Sonnenaufgang, die Jahreszeiten Mielikki sind, so wie die Vögel und die Eichhörnchen und die Stärke eines Baumes, der die Geburt und den Tod von Jahrhunderten erlebt hat, Mielikki sind. Wie die Blätter, die im Herbstwind treiben, und der Schnee, der sich hoch in kalten Bergtälern auftürmt, Mielikki sind. Und der Geruch einer frischen Nacht, das Glänzen des Sternenhimmels und das Heulen eines fernen Wolfes.
Nein, ich werde nicht offen mit jemandem streiten, der behauptet, einen Avatar gesehen zu haben, weil solche Leute nicht verstehen werden, daß die bloße Gegenwart einer derartigen Erscheinung den ganzen Sinn und Wert
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