Die vergessenen Welten 09 - Brüder des Dunkels
Ghenni'tiroth wehrte sich nicht mehr. Der Druck war von ihrer Kehle verschwunden, was immer ihr das jetzt auch noch nutzen mochte. K'yorls unsichtbare Hand packte ihr Haar und riß ihren Kopf nach vorn, so daß sie nach unten blickte, auf die ungewöhnliche Wölbung neben ihrer linken Brust.
Ghenni'tiroths Augen weiteten sich vor Entsetzen, als ihre Robe sich teilte und ihre Haut aufriß. Ein mächtiger Blutschwall schoß aus der Wunde, und Ghenni'tiroth sackte schlaff zu Boden, wo sie neben dem Platinteller liegenblieb.
Sie beobachtete das letzte Schlagen ihres eigenen Herzens, das jetzt auf diese Opferschale fiel.
»Vielleicht wird Lloth diesen Ruf hören«, meinte K'yorl, aber Ghenni'tiroth konnte sie schon nicht mehr hören.
K'yorl trat zu der Leiche und nahm ihr die Flasche mit dem Trank ab, den Ghenni'tiroth, ebenso wie jede andere Frau des Hauses Faen Tlabbar, stets bei sich trug. Die Mixtur, ein Gebräu, das inbrünstige Demut von männlichen Drow erzwang, war sehr stark – oder würde es sein, wenn die normale Magie wieder zu wirken begann. Diese Flasche enthielt gewiß den stärksten Trank, und K'yorl wollte ihn für einen gewissen Söldnerführer reservieren.
Sie ging zur Wand hinüber und nahm Fangzahn an sich.
Für die Siegerin...
Mit einem letzten Blick auf die tote Oberin Mutter beschwor K'yorl ihre psionischen Kräfte und wurde immer weniger real. Sie wurde zu einem Geist, der durch die Wände und an den Wachen des wohlbewachten Anwesens vorbeigehen konnte. Ihr Lächeln war ebenso strahlend wie ihr Selbstvertrauen, aber es war, wie Lloths Avatar es Baenre gesagt hatte: K'yorl hatte einen Fehler begangen. Sie war der Versuchung persönlicher Rache erlegen und hatte als erstes gegen einen geringeren Feind losgeschlagen.
Zur selben Zeit, da K'yorl durch die Mauern von Haus Faen Tlabbar glitt und sich im Triumph über ihre meistgehaßte Feindin sonnte, hatten sich die Oberinnen Baenre und Mez'Barris Armgo zusammen mit Triel und Gromph Baenre sowie den Oberinnen Müttern von Menzoberranzans Häusern fünf bis acht in einer privaten Kammer auf der Rückseite von Qu'ellarz'orl versammelt, hinter dem Plateau in jener riesigen Höhle, auf dem sich einige der wichtigsten Drowhäuser befanden, darunter auch das Haus Baenre. Die acht Drow drängten sich um die spinnenförmige Kohlenpfanne, die auf dem einzigen Tisch des kleinen Raumes stand, und jede stand an einem der Beine des Metalltiers. Alle hatten ihre wertvollsten brennbaren Gegenstände mitgebracht, und Oberin Baenre trug den Brocken Schwefel, den ihr der Avatar gegeben hatte.
Keiner von ihnen sprach es aus, aber allen war klar, daß dies vermutlich ihre einzige Chance war.
Trumpf
Normalerweise genoß Jarlaxle es, sich im Zentrum eines solchen Konfliktes zu befinden und beide Parteien eines Streites um ihn werben zu lassen. Dieses Mal jedoch erfüllte ihn diese Position mit Unbehagen. Er hatte nicht gerne mit K'yorl Odran zu tun, nicht auf einer freundschaftlichen Basis und erst recht nicht auf feindlicher. Und es machte ihn überhaupt nicht glücklich, daß das Haus Baenre auf eine so tiefgreifende, verzweifelte Art in einen Streit verwickelt war. Jarlaxle hatte einfach zuviel in Oberin Baenre investiert. Der vorsichtige Söldnerführer vertraute eigentlich niemals auf irgend etwas, aber er hatte tatsächlich erwartet, daß das Haus Baenre Menzoberranzan mindestens bis zum Ende seines Lebens beherrschen würde, so wie es die Stadt schon vor seiner Geburt und Jahrtausende zuvor regiert hatte.
Nicht, daß Jarlaxle dem ersten Haus der Stadt irgendwelche besonderen Gefühle entgegengebracht hätte; Baenre bot ihm bloß einen festen Anker, einen Bezugspunkt in den ständig sich verschiebenden Machtkämpfen von Menzoberranzan.
Er hatte geglaubt, dies würde ewig so weitergehen, aber nach seinem Gespräch mit K'yorl – oh, wie er diese Frau haßte! – war sich Jarlaxle dessen nicht mehr so sicher.
K'yorl wollte ihn anwerben, wollte höchstwahrscheinlich, daß ihr Bregan D'aerthe als Verbindung zur Welt außerhalb von Menzoberranzan diente. Das konnte der Söldnertrupp tun, und zwar gut, aber Jarlaxle bezweifelte, daß er selbst, der immer seine eigenen Pläne verfolgte, lange in K'yorls Gunst bleiben würde. Irgendwann, vielleicht früher, vielleicht auch erst später, würde sie die Wahrheit in seinen Gedanken lesen, und dann würde sie ihn beseitigen und ersetzen. Das war die Art der Drow.
* * *
Der Unhold war gewaltig: eine gigantische,
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