Die Vergessenen Welten 12 - Schattenzeit
den Augen des ganzen Dorfes zur Hure gestempelt.
Würde es überhaupt so weit kommen?, fragte sie sich. Vielleicht würde ihr Vater sie umbringen – wenn er davon erfuhr – er hatte sie schon für viel weniger verprügelt. Oder vielleicht würde Lord Feringal sie durch die Straßen führen lassen, damit die Dorfbewohner sie verhöhnen, mit faulem Obst bewerfen und anspucken konnten. Vielleicht würde der Lord auch in einem Wutanfall das Baby aus ihrem Bauch reißen lassen und seine Soldaten ausschicken, um Jaka zu töten.
Was würde aus dem Baby werden? Was würden die Adligen von Auckney mit einem Kind tun, das die Frucht eines Seitensprungs der Herrin des Landes war? Meralda hatte Geschichten über solche Fälle in anderen Königreichen gehört. Es waren Erzählungen über mögliche Gefahren für den Thron, Geschichten über ermordete Babys.
All diese Möglichkeiten wirbelten Meralda eines Nachts durch den Kopf, als sie im Bett lag. All diese schrecklichen Möglichkeiten, die zu grausig waren, um sich wirklich damit auseinander zu setzen. Sie stand auf, zog sich leise an und schlich dann zu ihrer Mutter hinüber, die friedlich in den Armen ihres Vaters schlummerte.
Meralda formte lautlos eine Entschuldigung mit den Lippen und stahl sich dann aus dem Haus. Es war eine feuchte und windige Nacht. Zu ihrer Verzweiflung fand sie Jaka nicht an seiner gewohnten Stelle in den Feldern oberhalb des Dorfes, daher lief sie zu seinem Haus. Meralda warf vorsichtig Steinchen gegen den Vorhang vor Jakas unverglastem Fenster und bemühte sich, seine Verwandtschaft nicht zu wecken.
Der Vorhang wurde abrupt zur Seite geschoben, und Jakas attraktives Gesicht schob sich durch die Öffnung.
»Ich bin's, Meralda«, flüsterte sie, und das Gesicht des jungen Mannes hellte sich überrascht auf. Er streckte den Arm zu ihr hinaus, und als sie ihn ergriff, zog er ihn dicht an sich. Sein Lächeln wurde so breit, dass es fast bis zu den Ohren reichte.
»Ich muss mit dir reden«, erklärte Meralda. »Komm bitte raus.«
»Hier drinnen ist es wärmer«, erwiderte Jaka in einem schlauen, lüsternen Tonfall.
Meralda wusste, dass es unklug war, aber sie zitterte wirklich in der kühlen Nachtluft und deutete daher zur Vordertür und eilte dann dorthin. Jaka war sofort da. Er war bis zur Taille nackt und hatte eine Kerze in der Hand. Er legte einen Finger an die geschürzten Lippen, ergriff sie am Arm und führte sie leise durch den Vorhang, der sein Zimmer abgrenzte. Bevor die Frau zu einer Erklärung ansetzen konnte, war Jaka bei ihr, küsste sie und zog sie aufs Bett hinab. »Hör auf!«, zischte sie und wich zurück. »Wir müssen reden.«
»Später«, sagte Jaka und ließ seine Hände über sie gleiten.
Meralda schob sich vom Bett und trat einen Schritt zurück. »Jetzt«, sagte sie. »Es ist wichtig.«
Jaka setzte sich auf die Bettkante und grinste noch immer, machte aber keine weiteren Annäherungsversuche.
»Ich bin überfällig«, erklärte Meralda ohne große Vorrede.
Jakas Gesicht verzog sich verständnislos.
»Ich bin schwanger«, stieß die Frau leise hervor. »Mit deinem Kind.«
Die Wirkung ihrer Worte hätte nicht dramatischer sein können, wenn sie Jaka mit einem Knüppel ins Gesicht geschlagen hätte. »Wie?«, stammelte er nach einer langen, angespannten Pause. »Es war doch nur einmal.«
»Dann haben wir es wohl richtig gemacht, nehme ich an«, erwiderte die junge Frau trocken.
»Aber …«, setzte Jaka an und schüttelte den Kopf. »Lord Feringal? Was sollen wir tun?« Er hielt wieder inne und musterte Meralda scharf. »Haben du und er …?«
»Nur du«, erwiderte Meralda mit Nachdruck. »Nur das eine Mal in meinem ganzen Leben.«
»Was sollen wir tun?«, wiederholte Jaka und schritt nervös auf und ab. Meralda hatte ihn noch nie so erregt gesehen.
»Ich dachte, ich müsse Lord Feringal heiraten«, erklärte Meralda und trat zu dem Mann, um ihm Halt zu geben. »Einzig um meiner Familie willen. Aber jetzt haben die Dinge sich verändert« sagte sie und blickte Jaka in die Augen. »Ich kann schließlich nicht das Kind eines anderen Mannes mit nach Burg Auck bringen.«
»Was also dann?«, fragte Jaka, der noch immer am Rand der Verzweiflung zu sein schien.
»Du hast gesagt, dass du mich willst«, entgegnete Meralda leise und hoffnungsvoll. »Durch das, was in meinem Bauch wächst, hast du mich jetzt, und zwar von ganzem Herzen.« »Lord Feringal wird mich umbringen.«
»Dann werden wir nicht hier bleiben«,
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