Die Vergessenen
auch die Ernteteiche der Umgebung mussten daraufhin aufgegeben werden, als der Geruch der toten Schnatterente einen Schwarm Kapuzler anlockte, und es erforderte später Monate, das von ihnen angerichtete Chaos wieder aufzuräumen.
Schnatterenten fingen zuzeiten Menschen, kauten sie nur durch und spuckten die Überreste aus. Sie taten noch andere seltsame Dinge, ertränkten zum Beispiel mal ihr Opfer im Schlamm, ehe sie die Leiche zu einer Siedlung zurücktrugen. Manchmal jagten sie jemanden einfach durchs Land und taten dann gar nichts, und zu wieder anderen Gelegenheiten ignorierten sie Menschen einfach vollständig. Und man erzählte sich sogar Geschichten von Menschen, die sich im Flötengras verirrten und dann von diesen Kreaturen nach Hause geführt wurden.
Jem hoffte, dass sein Fall zu den Letzteren gehören würde.
Während er weiter seinem Weg folgte, erhielt er hin und wieder durchs Gras kurze Eindrücke vom Fell der Kreatur: grau-grün mit seltsamen leicht violetten Wirbeln. Das Gras stand hier drei Meter hoch, und Jem erwischte auch den einen oder anderen Blick auf den Rücken der Schnatterente, was bedeutete, dasssie ein riesiges Exemplar ihrer Art sein musste. Er schwenkte von der Prärie ab und folgte seinem Weg nun so dicht an den Meereswellen und so weit vom Flötengras entfernt, wie es nur möglich war, ohne dass er in klebrigem Schlamm hineinsank. Kalter Schweiß stand ihm jedoch auf dem Rücken, als er voraus eine Stelle erblickte, wo der Schlamm aufgewühlt und aufgerissen worden war, und die er nur auf einem Streifen festen Bodens umgehen konnte, der gerade mal drei oder vier Meter breit war, ehe das Flötengras seinen Anfang nahm.
Als er der aufgewühlten Stelle näher kam, schien es, als bewegte sich die Kreatur mit größerem Eifer, als hinderte etwas sie daran, aus den Gräsern hervorzukommen, aber als wüsste sie, dass er diesen bald nahe genug kommen würde, um ihn dort zu packen. Er musterte den Boden weiter voraus jetzt gründlicher, denn er hoffte, einen Weg hindurch zu entdecken, und erst jetzt fiel ihm auf, dass diese Stelle nicht das Ergebnis eines Sturms oder Landrutsches war, sondern anscheinend die Folge eines Kampfes.
Was er ursprünglich für einen Brocken aufgerissener Wurzelstockmatte gehalten hatte, zeichnete sich jetzt scharf ab, sodass auch alles Weitere deutlich wurde. Dort lag ein Kampfpanzer, mit dem hinteren Ende in den Schlamm gesunken, der Turm halb heruntergerissen und der geschwärzte Lauf einer Art Geschütz zum Himmel gewandt. Weitere Wracks lagen in der Gegend verstreut, allesamt schlammverdreckt, sodass er sie ursprünglich nicht hatte erkennen können. Er sah den Text eines Satagenten in ein Stück Panzerung eingraviert, und erst, als er die Wrackteile ringsherum forschend betrachtet hatte, wurde ihm klar, dass er hier die Überreste eines Landungsboots der Theokratie vor sich hatte.
»Der Bruder des Hierarchen, Aberil Dorth, führte die Truppen aus Hoffnung herab, um uns anzugreifen«, sagte Sanders. »Es wäre ihm vielleicht sogar gelungen, uns niederzumachen, wäre unsere R ebellion nicht nur eine Nebenhandlung in einem größeren und tödlicheren Drama gewesen.«
Jem drehte sich um und sah Sanders ans Ufer waten, wieder nackt. Er hielt einen Moment lang den Blick abgewandt, konnte es sich dann doch nicht verkneifen, Sanders erneut anzublicken, aber sie war verschwunden. Ihr Gespenst war direkt aus der Hölle entsandt worden, um ihn zu verhöhnen.
»Der Teufel ist gekommen«, brummte er vor sich hin, ohne recht zu wissen, woher diese Worte stammten, aber mit einem deutlichen Gedankenbild von Proktor Shaunus, der sich zu ihm umdrehte, das Gesicht dumpf, ein Auge blutunterlaufen, sein Verstärker, die Gabe Behemoths, in etwas verwandelt, das jemand aus einer Aschegrube gekratzt hatte. Entsetzen begleitete diese Vision, altes erinnertes Entsetzen angesichts von Etwas, das die Macht über ihn zu erlangen versuchte, Erinnerung an sein Bedürfnis zu fliehen. Er spürte, wie ihm die Beine nachgaben, sich eine Leere in seinem Kopf ausbreitete, aber er kämpfte dagegen an, richtete sich auf und bemühte sich, gleichmäßig eine Luft zu atmen, die ihn eigentlich hätte umbringen sollen.
»Lügen«, sagte er.
Er glich einem der Propheten, die in der Wildnis von Dämonen verhöhnt wurden, von Visionen heimgesucht, die eine Prüfung durchlebten, um schließlich die Wahrheit zu erlangen. Als er jedoch erneut den Blick hob und auf die vor ihm verstreut liegenden
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