Die Vergessenen
Hängebauch frei. Dann drehte er die rechte Hand und starrte sie kurz an, ehe er auf eine merkwürdige Art die Finger verdrehte. Ein Messer schoss aus dem Ärmel hervor und landete mit dem Griff glatt in der Hand. Er klappte es hoch und stach es sich direkt unters Brustbein.
»Mein Gott!«, rief Shree aus und ärgerte sich dann auf einmal über sich selbst, weil sie diese Worte benutzt hatte.
Der Mann führte das Messer abwärts und tat dies fast mit der Gleichgültigkeit von jemandem, der den Reißverschluss eines Overalls öffnete. Blut sprudelte hervor und spritzte ihm auf die Hose. Er langte in den Körper hinein, packte etwas und zog es hervor, begleitet von einem scheußlichen Sauggeräusch, um den Gegenstand anschließend hochzuhalten. Aus dem Schnitt im Bauch quollen Eingeweide.
Halloran drehte sich um und starrte ihn an, übermittelte vielleicht über den Dracocorp-Verstärker eine lautlose Kommunikation. Der Mann holte ein dickes Stück Stoff aus der Hosentasche, säuberte den gedrungenen Glaszylinder, den er in der Hand hielt, und reichte ihn Halloran. Der Mann wandte sich ab, stopfte sich die Eingeweide wieder in den Leib und ging leicht schwankend zum Aerofan hinüber, ehe er sich daneben unvermittelt hinsetzte und sich mit dem Rücken daran lehnte. Er starb, wurde sich Shree bewusst. Er würde einfach sterben.
»War das wirklich nötig?«
»Es war die sicherste Möglichkeit, das hier …« Halloran hielt den Zylinder hoch. »… auf den Planeten zu schmuggeln. Es ist elektronisch vor Scannerimpulsen abgeschirmt, aber das hätte nichts gegen eine physische Durchsuchung des Gepäcks genutzt.«
»Ein CTD?«, fragte Shree. »Ich hielt es für nahezu unmöglich, eine Antimaterie-Eindämmungsflasche zu tarnen.«
»Das möchte uns die Polis glauben machen, aber nein, es ist gar kein CTD.«
Der blonde Mann war inzwischen nach vorn gesunken. Die Hose war blutdurchtränkt, wie auch der Erdboden ringsherum.
»Was ist es dann?«
»Das Einzige, was die Vernichtung der Atheter-KI wirklich vollkommen sicherstellt.« Halloran reichte ihr den Zylinder, und mit leichtem Widerstreben nahm sie ihn in die Hand. »Am Ende finden Sie eine einfache DNA-Fingerabdruck-Konsole.« Shree entdeckte ein kleines rundes Glas, das fast wie eine Kameralinse alten Stils aussah. »Drücken Sie den Finger einmal darauf, und sie speichert den Fingerabdruck und Ihre DNA. Machen Sie das jetzt.« Shree tat wie geheißen und hörte einen leisen Ton aus dem Zylinder kommen.
»Was jetzt?«, fragte sie.
»Nur Sie können den Zylinder jetzt noch öffnen«, fuhr Halloran fort. »Wenn Sie das nächste Mal den Ableser feste drücken, öffnet sich der Behälter.«
»Und was geschieht dann?«
»Dann entfesseln Sie die Kräfte der Hölle.« Damit kam er einer emotionalen Äußerung bislang am nächsten.
»Dann möchte ich nicht in der Nähe sein, wenn es passiert.«
»Sie können den Zylinder werfen und fortlaufen, aber nach Einsatz dieser Waffe wird die Polis Sie jagen.«
»Für mich nichts Neues.«
»Sie haben mich nicht richtig verstanden. Die mächtigstenGehirne der Polis werden nach Ihnen suchen, und sollten sie Sie fassen, werden die forensischen KIs Ihren Verstand zerlegen. Die bessere Alternative für Sie wäre es, beim Zylinder zu bleiben, nachdem Sie ihn geöffnet haben.«
»Was enthält er?«, fragte sie und spürte wieder diese Erregung, diese Reaktion auf eine anspruchsvolle Aufgabe.
»Aktive Dschainatechnik.«
Das verblüffte Shree eine kurze Weile lang; dann brachte sie die Frage hervor: »Und sie wird die Atheter-KI vernichten?«
»Nein.«
»Was meinen Sie mit ›nein‹?«
»Sie wird das tun, was sie immer tut. Sie wird Technik in Beschlag nehmen, sogar jede Lebensform, mit der sie in Verbindung kommt.«
»Mit welchem Ergebnis?«
»Das Satellitennetz der Polis wird den Vorgang innerhalb von Minuten entdecken, und die KIs reagieren dann in Sekunden. Sie betrachten die Atheter-KI als eine potenzielle Gefahr, aber eine mit Dschainatechnik infizierte Atheter-KI werden sie als systemweite tödliche Bedrohung einstufen. Die KI und vermutlich noch viel mehr innerhalb der Barriere werden verdampft werden. Also müssen Sie sehr schnell laufen.«
Shree wog den Zylinder in der Hand, nickte und wandte sich ab. Würde sie weglaufen? Sie wusste es nicht, aber sie wusste, dass sie diesen Gegenstand zum angewiesenen Ort bringen würde.
Jem stieg aus dem Boot und ging einige Schritte weit, ehe er sich umdrehte und es forschend
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