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Die Verlassenen

Die Verlassenen

Titel: Die Verlassenen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Amanda Stevens
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einmal gehört hatte.
    Verwirrt folgte sie den Klängen in ihr Schlafzimmer. Die Leuchtziffern an ihrem Radiowecker blinkten, was darauf hindeutete, dass der Strom in der Zwischenzeit ausgefallen war. Ree hatte an ihrem Laptop gearbeitet, sodass sie die kurze Unterbrechung wohl nicht bemerkt hatte. Als der Strom wieder da war, hatte sich wahrscheinlich das Radio eingeschaltet. Daran war nichts gruselig.
    Aber das Lied ... es war wie eine längst vergessene Erinnerung, dachte Ree traumverloren. Sie schloss die Augen und ließ die Musik und in sich hineinströmen, doch auf einmal hatte sie etwas Quälendes, das ihr Angst machte, und sie schaltete das Radio aus, und die Empfindung verschwand.
    Nach einer kurzen Dusche kroch sie ins Bett, doch der Schlaf wollte nicht kommen. Obwohl sie so erschöpft war, konnte sie nicht abschalten. Zu viele aufwühlende Dinge waren heute Abend passiert, nicht zuletzt der Tod von Miss Violet.
    Als sie endlich einschlief, hatte sie einen äußerst merkwürdigen Traum. Sie war auf dem Friedhof von Oak Grove. Sie war dort ... doch sie war nicht sie. Und die Totenstadt war nicht der verwahrloste Friedhof von heute, sondern eine üppig bewachsene und gut gepflegte Totenstätte, die deshalb allerdings nicht minder beunruhigend war ...
    Sie trug ihr Lieblingskleid in einem traumhaften Eisblau und mit Silberfäden durchzogen, die im Mondlicht glitzerten, als sie sich den Weg durch das Labyrinth aus Grabsteinen und Mausoleen bahnte. Das Kleid war ein Geschenk ihrer Großmutter. Die hatte es ihr zu ihrem siebzehnten Geburtstag aus Paris mitgebracht, und Vater war nicht sehr erfreut darüber gewesen. Er hielt den Schnitt für zu gewagt und verbot ihr, das Kleid zu tragen, sodass sie es zusammen mit anderen verbotenen Kostbarkeiten in ihrem Kleiderschrank versteckte. Wenn irgendjemand diese vielen unanständigen Sachen fand ...
    Der schwere Duft von Efeu und feuchter Erde hüllte sie ein, und sie verspürte einen wohligen Schauer und blieb vor einem im gothischen Stil erbauten Grabmahl stehen, dessen Türme und Kreuze sich gespenstisch vom Nachthimmel abhoben. Wo war er? Sie hatten vereinbart, sich am Bedford Mausoleum zu treffen, aber was, wenn er es sich anders überlegt hatte? Was, wenn er zu dem Schluss gekommen war, dass sie für einen Mann mit seinen Ansprüchen und Ambitionen zu jung war und damit gesellschaftlich tabu?
    Sie versuchte, die aufkeimende Unsicherheit zu verdrängen, stieg die Stufen hinauf und spähte durch die Bleiglasscheibe. Aus dem gegenüberliegenden Fenster fiel das Licht des Mondes in den Innenraum, doch sie konnte hinter einem glänzenden Gewirr aus Spinnweben kaum etwas erkennen.
    Sie drehte sich um und ließ den Blick über den Friedhof schweifen. Die dunklen Schatten der Eichen verstärkten den geisterhaften Schimmer der Marmorstatuen. Die leeren Augen sahen zu, wie sie die Treppenstufen hinunterrannte und zwischen ihnen suchte.
    Plötzlich konnte sie Musik von der Party hören, die ganz in der Nähe stattfand, und Erleichterung stieg in ihr auf. Sie spielten ihr Lied, und das konnte nur er gewesen sein. Er war also doch hier und schickte ihr eine geheime Botschaft. Sie schloss die Augen, hob die Arme und begann zu tanzen.
    Während sie sich zwischen den Engeln und Heiligen im Kreis drehte, sah sie ihn plötzlich aus den Augenwinkeln. Mit geheimnisvoller und gedankenverlorener Miene beobachtete er sie aus der Dunkelheit. Im nächsten Moment trat er ins Mondlicht, und sie atmete tief durch. Er war so groß, so majestätisch, so elegant gekleidet. Sofort lief sie zu ihm hin, legte ihm die Hände um den Nacken und zog sein Gesicht zu sich herunter, damit er sie küsste. Ohne zu zögern kam er ihrem Wunsch nach, und seine Zunge glitt in ihren Mund und wieder heraus, bis ihr ganz schwindlig wurde vor Erwartung.
    „Ich habe auf dich gewartet“, stieß sie atemlos hervor.
    „Und da bin ich.“ Wieder küsste er sie, aber dieses Mal hatten seine Berührungen etwas Kaltes an sich. „Hattest du Probleme wegzukommen?“
    „Es war fast zu einfach“, erwiderte sie mit einem nervösen Lachen. „Vater ist schon vor Stunden gegangen, also brauchte ich bloß noch zu warten, bis die anderen im Bett waren, und dann habe ich mich durch die Hintertür hinausgeschlichen.“
    „Hat dich jemand gesehen?“
    „Wieso sollte mich jemand sehen?“ Durch ihren dichten Wimpernkranz blickte sie zu ihm auf. „Ich habe ja eine Menge Übung.“
    „Du bist wirklich unverbesserlich, was?“

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