Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Verlassenen

Die Verlassenen

Titel: Die Verlassenen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Amanda Stevens
Vom Netzwerk:
schaute an sich hinunter, schnappte nach Luft und presste das Oberteil ihres Schlafanzugs vor die Brust. „O Gott.“
    Es war, als hätte er kaltes Wasser über sie gegossen. Beschämt und ziemlich ängstlich stolperte sie ein paar Schritte rückwärts. „Fassen Sie mich nicht an!“
    „Kein Problem.“
    Sie ging zurück zur Treppe. Neugierig beäugte er sie durch den Nebel, doch er machte keine Anstalten, sich ihr zu nähern. „Sind Sie okay? Sie wirken ein bisschen ... verwirrt.“ Das war noch gelinde ausgedrückt.
    Hastig zog sie sich ihr Schlafanzugoberteil über und machte mit zitternden Fingern die Knöpfe zu. „Ich weiß nicht. Ich weiß nicht, wie ich hierhergekommen bin. Aber so wahr Gott mir helfe, wenn Sie mich unter Drogen gesetzt haben ...“
    „Unter Drogen gesetzt?“ Das wurde ja immer besser. „Bis vor ein paar Minuten hatte ich Sie noch nie gesehen.“
    „Und wie bin ich dann hierhergekommen?“
    „Das müssen Sie selber wissen.“ Ihre Anschuldigungen kränkten ihn, doch sie sah so verloren und so verletzlich aus, dass er sie unwillkürlich beschützen wollte. Äußerlich schien sie in Ordnung zu sein. Er konnte weder Blut sehen noch irgendwelche Blutergüsse, aber irgendetwas war ihr ganz offensichtlich zugestoßen. „Erinnern Sie sich denn an gar nichts mehr?“
    „Alles ist total verschwommen.“ Sie legte die Hand an die Stirn. „Ich erinnere mich, dass ich ins Bett gegangen bin, und dann hatte ich einen ganz seltsamen Traum.“
    „Einen Traum?“ Er biss sich an dem ersten Wort fest, das einen Sinn für ihn ergab. „Vielleicht sind Sie schlafgewandelt.“
    „Das habe ich noch nie getan.“
    „Es gibt immer ein erstes Mal. Wohnen Sie hier in der Nähe? Vielleicht in einem der Studentenwohnheime?“
    Sie antwortete nicht.
    „Sie brauchen keine Angst vor mir zu haben“, versuchte er sie zu beruhigen. „Wenn ich Ihnen etwas hätte tun wollen, dann hätte ich es schon längst können.“
    Sie legte den Kopf in den Nacken. „Vielleicht haben Sie es ja versucht.“
    Er musste ihren Mut bewundern. „Sie können jederzeit gehen“, erklärte er und wies mit dem Arm in Richtung Gehweg. „Ich werde sie nicht aufhalten. Aber nur damit Sie’s wissen: Sie sind hier mit mir sicherer als allein da draußen in der Dunkelheit. Besonders wenn Sie nicht wissen, wo Sie hingehen.“
    „Ich weiß, wo ich hingehe.“ Das leichte Zittern in ihrer Stimme strafte ihre trotzige Haltung Lügen.
    „Also gut. Falls Sie warten möchten, bis ich meine Ausrüstung zusammengepackt habe, nehme ich Sie gern mit. Falls nicht ... passen Sie gut auf sich auf da draußen.“
    Ree wusste, dass sie eigentlich gehen sollte, doch stattdessen blieb sie, weil es sie auf unerklärliche Weise zu dem Fremden hinzog. Er war schlank und attraktiv, und sein Benehmen und sein Stil waren irgendwie anders, sodass sie sich fragte, ob er vielleicht Musiker war, wie man sie vielleicht in irgendeinem coolen, aber leicht dekadenten Nachtklub antraf. Jedenfalls nicht jemand, von dem sie erwartet hätte, dass er sich auf einem verlassenen Friedhof herumtrieb.
    Sie hatte überhaupt keinen Grund, ihm zu vertrauen, schon gar nicht, wenn man bedachte, dass sie unbekleidet war, als sie ... aufwacht e – in Ermangelung eines besseren Wortes. Ein paar Erinnerungen hatte sie, auch wenn sie noch so verschwommen waren. Sie hatte ihn geküsst. Er hatte ihren Kuss vielleicht erwidert – dieser Teil war ein wenig lückenhaft –, doch sie war sich ziemlich sicher, dass die Initiative von ihr ausgegangen war. Und das sah ihr gar nicht ähnlich. Sie war weiß Gott kein schüchternes Mauerblümchen, aber sie war auch keine aggressive Draufgängerin. Schon gar nicht bei einem Fremden, dem sie gerade erst auf einem Friedhof begegnet war. Das war total verquer. Sie hatte den inneren Zwang verspürt, ihn zu küssen, so als hätte sie keinen eigenen Willen gehabt. Als wäre sie nur eine Marionette im Traum eines anderen Menschen.
    Sie war jetzt ganz klar, im Vollbesitz ihrer geistigen Kräfte, und dennoch ergab nichts einen Sinn. Allmählich kam ihr diese Nacht vor wie ein Albtraum, den man im Wachzustand erlebte.
    „Also, wollen Sie jetzt mitfahren oder nicht?“, erkundigte er sich.
    Eine Alarmglocke schrillte in Rees Hinterkopf, doch so leise, dass es ihr leichtfiel, sie zu überhören. „Ja, es wäre nett, wenn Sie mich mitnehmen würden. Ich wohne nur ein paar Straßen nördlich von hier. Gleich beim Universitätsgelände.“
    „Sie sind

Weitere Kostenlose Bücher