Die verlorene Bibliothek: Thriller
Minuten vergingen, desto mehr nahm ihre Angst ab, und schließlich ging sie wieder ganz normal, und auch ihr Adrenalinspiegel sank.
Emilys Körper war erschöpft, doch ihr Geist raste, und das nicht nur aufgrund der Jagd. Je länger sie unterwegs war, desto mehr beschäftigte sie wieder Arnos letzter Hinweis.
Irgendetwas kam ihr falsch daran vor.
Emily hatte die Botschaft an sich nicht falsch gedeutet. Natürlich hätte sie den Ort auch falsch interpretieren können, doch in diesem Fall war Emily sich vollkommen sicher. Das neue Symbol zusammen mit dem Text zerstreute jeden Zweifel. Die Spur führte in die Divinity School der Universität von Oxford und zu einem bestimmten Symbol an deren Decke.
Das Problem war nur, dass die Spur sie wieder zurückführte. Zurück nach Oxford. Zurück zu dem Ort, wo ihre Suche nach der Bibliothek erst richtig begonnen hatte. Dieser letzte Hinweis machte all die Reisen sinnlos. Und Arno betonte das sogar noch in seiner Botschaft, als wollte er sie damit verspotten: ›Der Kreis schließt sich: Oxfords göttliche Decke und Heim der Bibliothek.‹ Emily kehrte wieder zum Anfang zurück.
Aber das war irgendwie … falsch.
Diese Überlegungen fanden jedoch ein jähes Ende, als Emily von einem unverkennbaren Klicken hinter sich aus ihren Gedanken gerissen wurde. Wie erstarrt blieb sie mitten in einer leeren, schmalen Gasse stehen. Sie hatte dieses Geräusch zwar noch nie in Wirklichkeit gehört, aber sie hatte genug Filme zu sehen, um zu wissen, was es bedeutete: Jemand hatte hinter ihr eine Pistole gespannt. Langsam drehte sie sich um.
Vor ihr stand der kleinere, stämmigere der beiden grauen Männer, die Pistole direkt auf ihren Kopf gerichtet.
KAPITEL NEUNUNDACHTZIG
21:30 U HR
Jason hielt die Glock 26 auf den Kopf von Emily Wess gerichtet. Die vergleichsweise kleine Pistole war seine Lieblingswaffe auf Reisen. Sie war leicht zu verstecken und für ihre Größe erstaunlich genau. Auch wenn Sicherheitspersonal überall auf der Welt sie als ›Baby Glock‹ bezeichnete, war ihre Durchschlagskraft alles andere als kindlich.
Als Emily die Waffe sah, die auf ihre Stirn gerichtet war, wich sie instinktiv einen Schritt zurück und schaute hinter sich, doch nur um festzustellen, dass der andere Mann ihr die Flucht versperrte.
»Versuchen Sie das gar nicht erst, Dr. Wess.« Jason sprach klar und deutlich und mit einer Ruhe, als wäre es ganz normal für ihn, mit einer Waffe auf eine Frau zu zielen. »Für heute ist Schluss mit Laufen.«
Emily schaute wieder zu ihm, den Blick fest auf den Lauf der Waffe gerichtet.
»Was wollen Sie von mir?«
Jason zuckte noch nicht einmal mit der Wimper.
»Nichts, was Sie uns nicht geben können, und nichts, was wir nicht gerne annehmen.« Er kniff die Augen zusammen. Was auf seinem Gesicht erschien, war nicht wirklich ein Lächeln, aber fast ein Ausdruck herablassender Belustigung.
»Zuerst einmal: Geben Sie uns, was Sie im Palast gefunden haben«, befahl er. Sein Vater hatte ihm versichert, dass es sich bei dem, was dort verborgen gewesen war, nur um ein weiteres Täuschungsmanöver des Bewahrers handelte und nicht um ein Schlüsselelement ihrer Suche. Nach der Dekodierung von Antouns Dateianhang hatte der Rat bereits, was er benötigte. Trotzdem konnte es ja nicht schaden zu wissen, was Holmstrands letzter Hinweis war.
Emily tat ihr Bestes, um angesichts der Umstände Mut zu zeigen.
»Ich weiß nicht, was Sie meinen.« Diese Leute durften die Bibliothek nicht finden.
Jason streckte den rechten Arm aus und hielt die Waffe näher vor Emilys Gesicht.
»Machen Sie mich nicht wütend, Dr. Wess. Ihr Handy, bitte.« Er deutete auf Emilys Jacke. »Geben Sie es uns.«
Bei dem Wort ›uns‹ bemerkte Emily, dass der andere Mann von hinten herangekommen war. Sie hörte seinen Atem hinter sich; fast konnte sie ihn sogar spüren.
Die beiden Männer waren cleverer, als sie gehofft hatte. Sie wussten ganz genau, was sie hatte und wo.
»Ich bin kein sehr geduldiger Mensch, Dr. Wess«, fuhr Jason fort. »Ich weiß, dass Ihr Handy Informationen zu dem enthält, was Sie im Palast gefunden haben, wie auch eine gewisse Liste, die Sie nie hätten sehen sollen. Nun denn … Ich werde Sie nicht noch einmal bitten.« Er streckte die linke Hand aus, und im selben Augenblick spürte Emily, wie ihr eine zweite Waffe in den Rücken gedrückt wurde.
»In Ordnung.« Ihr Mut war plötzlich wie weggeblasen, aber ihr Überlebenswille hellwach. Sie hatte Michael
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