Die verlorene Bibliothek: Thriller
war, dass ich nach der verlorenen Bibliothek von Alexandria suche, und …« Sie kramte in ihrer Reisetasche herum, holte Arnos Briefe heraus und schaute auf den ersten davon. »… und nach dieser ›Gesellschaft, die dazugehört‹.« Sie blickte zu dem Mann ihr gegenüber. »Kann ich davon ausgehen, dass Sie ein Mitglied dieser ›Gesellschaft‹ sind?« Sie hatte beschlossen, die Karten auf den Tisch zu legen und den Mann nach den wenigen Einzelheiten zu befragen, die sie kannte.
Athanasius hielt kurz inne. Unter normalen Umständen würde kein Bibliothekar über seine Rolle, die Gesellschaft oder die Bibliothek sprechen. Im Laufe der Geschichte hatten viele lieber das Gefängnis oder gar den Tod gewählt, als dass sie ihre Rolle bei diesem noblen Projekt verraten hätten. Doch die Anweisungen des Bewahrers waren klar und deutlich gewesen. Emily Wess war für eine Rolle auserwählt worden, und sie musste die Wahrheit kennen, auch wenn das hieß, gegen ein jahrhundertealtes Protokoll zu verstoßen.
»Ja«, antwortete er schließlich. »Aber ich muss Sie korrigieren, Dr. Wess. Die Bibliothek, nach der Sie suchen, ist nicht verloren.« Er hielt kurz inne, um Emily Zeit zu geben, seine Worte zu verdauen. »Sie ist verborgen.«
Emily hakte sofort nach: »Dann hat Arno sie also entdeckt, und Sie arbeiten zusammen, um sie geheim zu halten, ja?«
»Nicht wirklich.« Nervös rutschte Athanasius auf seinem Stuhl herum. Wess hatte wirklich keine Ahnung von der Situation. »Sie musste nicht entdeckt werden, weil sie ja nie verloren war. Sie war nur versteckt … absichtlich.«
Emily dachte über diese Enthüllung nach. Kyle hatte schon wieder recht behalten. »Seit wann?«
»Schon immer «, betonte Athanasius. »Der Mythos, dass die Bibliothek zerstört worden wäre oder verloren gegangen wäre, hat uns stets gut gedient. Aber sie ist nicht tot, und das war sie auch nie, im Gegenteil. Sie ist äußerst lebendig und aktiv. Genau wie bei der Bibliothek oben ist auch unsere Sammlung ständig gewachsen.«
Emily hielt den Blick auf Athanasius gerichtet, doch in Gedanken war sie woanders. Ihr Geist wanderte in der Geschichte zurück, zu Mythen, Dokumenten und Legenden. Die Theorien, die sie mit Kyle und Wexler diskutiert hatte, hatten nun eine Substanz bekommen, die ihr eine Gänsehaut bescherte. In der Welt, wie sie sie bis jetzt gekannt hatte, wusste niemand, was mit der Bibliothek von Alexandria geschehen war, doch alle stimmten darin überein, dass sie verschwunden war. Jeder wusste, dass sie nicht mehr existierte, und das schon seit Jahrhunderten.
Jeder mit Ausnahme dieses Mannes, der da vor ihr saß, und der Gruppe, zu der er gehörte.
»Und es ist unsere Aufgabe«, fuhr Athanasius fort, »sie am Leben zu erhalten. Die Gesellschaft existiert, um sicherzustellen, dass die Bibliothek bleibt, was sie schon immer war: die umfassendste Sammlung historischen und aktuellen Wissens mit dem Ziel, die Menschheit in die richtige Richtung zu lenken.«
Emilys Gedanken kehrten wieder in die Gegenwart zurück und zu der Frage, die sie am meisten beschäftigte.
»Dann wissen Sie also, wo sie ist, ja?« Neugierig beugte sie sich vor, doch die Antwort war nicht das, was sie erwartet hatte.
»Nein.« Emilys Enttäuschung ob dieser Antwort kam nicht unerwartet. »Niemand von uns weiß, wo genau sich die Bibliothek befindet. Das war schon immer das bestgehütete Geheimnis unserer Gesellschaft, und wir Zuarbeiter haben natürlich keinen Zugriff darauf. Wozu auch? Nur zwei Männer kennen den Ort.« Er hielt kurz inne. »Oder zumindest haben sie ihn gekannt, denn beide sind in der vergangenen Woche ermordet worden.«
Emily zog sich die Brust zusammen. Ihre Gedanken kehrten wieder zu Arno Holmstrand zurück, der in seinem Büro ermordet worden war. Hatte es etwa noch einen zweiten Mord gegeben? Wie sich herausstellte, wurde das, worin sie nun verstrickt war, immer größer.
Doch trotz des Ausmaßes dieser Geschichte und trotz der beiden Morde, die damit in Zusammenhang standen, war Emilys Neugier größer als ihre Furcht. Und inzwischen war es vor allem ein Punkt, der Emily interessierte.
»Sagen Sie mir, wie das funktioniert«, forderte sie Athanasius auf. »Wie hält man eine verborgene Bibliothek am Leben?«
KAPITEL ZWEIUNDSECHZIG
11:55 U HR
Athanasius lehnte sich auf seinem Stuhl zurück. Wenn die Geschichte schon erzählt werden musste, dann auch richtig. Seit mehr als fünfundzwanzig Jahren diente er der Gesellschaft als
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