Die verlorene Bibliothek: Thriller
immer nur als seinen Arbeitgeber betrachtet hatte. Die Umstände seiner Geburt waren irrelevant; nur seine Leistung zählte. Die beiden Männer pflegten eine streng professionelle Beziehung, und beide – besonders Jasons Vater – zogen das auch vor. Ihre Beziehung war schon immer so gewesen, und Jason wusste, dass sie daran auch nie etwas ändern würden.
»Tut mir leid, Sir.« Jason riss sich wieder zusammen. »Aber was wahr ist, bleibt auch wahr. Die Gesellschaft weiß, wer Sie sind, und nun weiß das auch Emily Wess, die Frau, die sie zur neuen Bewahrerin machen wollen.«
»Lass dich von solchen Dingen nicht nervös machen, Jason«, erwiderte der Sekretär. Jason war überrascht. Nur selten verwendete Ewan Westerberg den Vornamen seines Sohnes, geschweige denn, dass er ihn duzte. Offensichtlich versuchte er mit dieser seltenen Demonstration von Zuneigung, den jüngeren Mann wieder zu beruhigen. »Sie mögen ja etwas über uns in Erfahrung gebracht haben, aber wir haben etwas wesentlich Kritischeres über sie gelernt. Antouns Hintergrund wird bereits bis ins kleinste Detail überprüft. Die bisherigen Informationen, die wir über ihn als potenziellen Bibliothekar gesammelt haben, waren noch äußerst unvollständig, doch mit dem neuen Material, das wir aus dem Gespräch erfahren haben, bin ich fest davon überzeugt, dass es uns gelingen wird, seine Tarnung zu durchschauen und noch weit mehr herauszufinden.« Er hielt kurz inne. »Hat der Mann Sie gesehen?«
»Nein.«
»Dann sorgen Sie dafür, dass das auch so bleibt. Es ist besser, wenn er nicht weiß, dass wir von ihm wissen, jedenfalls nicht, bis wir mehr über ihn in Erfahrung gebracht haben. Dann können Sie ihn …« Wieder hielt er kurz inne, um das Folgende zu betonen. »Dann können Sie ihn einladen , sein Wissen mit uns zu teilen. Sein Tonfall Wess gegenüber war zurückhaltend. Er weiß noch mehr, und er kann uns zu seinen Kollegen in der Gesellschaft führen. Unsere Teams in Kairo sollen ihn ununterbrochen im Auge behalten, während wir hier weitere Informationen sammeln. Wenn es dann so weit ist, Antoun zur Mitarbeit zu überreden, kehren Sie wieder zurück.«
»Und bis dahin?« Jason schaute über den kleinen Hof hinweg zu seinem Partner. Er wusste, dass sie nicht Däumchen drehen würden.
»Sie beide bleiben an unserem Hauptziel dran. Dr. Wess hat ihr nächstes Ziel bereits ausgemacht. Lassen Sie sie nicht aus den Augen.«
»Ihr Flug nach Istanbul geht in gut einer Stunde«, bemerkte Jason. »Mit dem Jet werden wir zwanzig Minuten Vorsprung haben. Ich habe bereits alles arrangiert. Sollte es nötig sein, werden mir in Istanbul zusätzlich vier Mann zur Verfügung stehen.«
»Nehmen Sie sich alles, was Sie brauchen«, erwiderte der Sekretär. »Ich denke, das kleine Spiel des Bewahrers neigt sich seinem Ende entgegen.«
Das gefiel Jason. Je schneller das Spiel vorbei war, desto schneller würden sie auch Emily Wess ausschalten können. Vielleicht war Emily Wess ja doch weniger eine neue Bedrohung als vielmehr ein Glücksfall für den Rat, und das in doppelter Hinsicht. Sie würde sie zur Bibliothek führen, und ihr Tod würde sicherstellen, dass die Arbeit des Rates in Washington nicht enthüllt wurde. Und dann würden sie nicht nur die Bibliothek, sondern auch die letzte Supermacht der Welt beherrschen.
Jasons Adrenalinspiegel stieg allein schon beim Gedanken an die Macht, die sie besitzen würden.
Jenseits des Atlantiks fühlte der Sekretär den Elan seines Sohnes.
»Verlier das Ziel nicht aus den Augen, Jason«, mahnte er abermals in väterlichem Ton. »Nur noch ein wenig Geduld. Emily Wess wird uns die Tür zum Objekt unserer Begierde zeigen. Und wenn es so weit ist, mein Sohn, dann wirst du dafür sorgen, dass wir durch diese Tür gehen – und nicht sie.«
KAPITEL EINUNDSIEBZIG
I STANBUL – 16:55 U HR ( GMT +2)
Emilys Flugzeug setzte um Punkt 16:55 Uhr auf der Bahn des Atatürk-Flughafens in Istanbul auf. Der kurze Flug war ruhig verlaufen, doch Emilys Kopf war viel zu voll gewesen, als dass sie sich so entspannt ihren Gedanken hätte hingeben können wie auf dem Flug von England nach Ägypten. Die Informationen, die sie von Athanasius im Keller der Bibliotheca Alexandrina bekommen hatte, waren schlicht unglaublich.
Ihr Adrenalinspiegel war dramatisch gestiegen, als sie erfahren hatte, dass Arno Holmstrand ihr noch einen Brief hinterlassen hatte, noch einen Hinweis und diesmal einen, den sie auch entschlüsseln konnte.
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