Die Verlorene Ehre der Katerina Blum
darauf, die Briefschaften zu öffnen. Es war nichts zu machen. Sie las das alles! Es war nicht alles anonym. Ein Brief, der umfangreichste, kam von einem Unternehmen, das sich Intim-Versandhaus nannte und ihr alle möglichen Sex-Artikel anbot. Das war für Katharinas Gemüt schon ziemlich starker Tobak, schlimmer noch, dass jemand handschriftlich dazugeschrieben hatte: “Das sind die wahren Zärtlichkeiten.” Um es kurz, oder noch besser: statistisch zu machen: von den weiteren achtzehn Briefschaften waren
sieben anonyme Postkarten, handschriftlich, mit “derben” sexuellen Offerten, die alle irgendwie das Wort “Kommunistensau” verwendet hatten
} • }vier weitere anonyme Postkarten enthielten politische Beschimpfungen ohne sexuelle Offerten. Es ging von “roter Wühlmaus” bis “Kreml-Tante”
} • }fünf Briefe enthielten Ausschnitte aus der ZEITUNG, die zum Teil mit roter Tinte am Rand kommentiert waren, u. a. folgenden Inhalts: “Was Stalin nicht geschafft hat, Du wirst es auch nicht schaffen” zwei Briefe enthielten religiöse Ermahnungen. in beiden Fällen auf beigelegte Traktate geschrieben: “Du musst wieder beten lernen, armes, verlorenes Kind” und “knie nieder und bekenne, Gott hat dich noch nicht aufgegeben.”
Und erst in diesem Augenblick entdeckte Else W. einen unter die Tür geschobenen Zettel, den sie zum Glück tatsächlich vor Katharina verbergen konnte: “Warum machst du keinen Gebrauch von meinem Zärtlichkeitskatalog? muss ich dich zu deinem Glück zwingen? Dein Nachbar, den du so schnöde abgewiesen hast. Ich warne dich.” Das war in Druckschrift geschrieben, an der Else W. akademische, wenn nicht ärztliche Bildung zu erkennen glaubte.
35.
Es ist schon erstaunlich, dass weder Frau W. noch Konrad B. erstaunt waren, als sie nun, ohne an irgendeine Form des Eingreifens zu denken. beobachteten, wie Katharina an die kleine Hausbar in ihrem Wohnraum ging, je eine Flasche Sherry, Whisky, Rotwein und eine angebrochene Flasche Kirschsirup herausnahm und ohne sonderliche Erregung gegen die makellosen Wände warf, wo sie zerschellten, zerflossen.
Das gleiche machte sie in ihrer kleinen Küche, wo sie Tomatenketchup, Salatsauce, Essig, Worcestersauce zum gleichen Zweck benutzte. muss hinzugefügt werden, dass sie gleiches in ihrem Badezimmer mit Cremetuben, -flaschen, Puder, Pulvern, Badeingredienzen und in ihrem Schlafzimmer mit einem Flacon Kölnisch Wasser tat?
Dabei wirkte sie planvoll, keineswegs erregt, so überzeugt und überzeugend, dass Else W. und Konrad B. nichts unternahmen.
36.
Es hat natürlich ziemlich viele Theorien gegeben, die den Zeitpunkt herauszuanalysieren versuchten, an dem Katharina die ersten Mordabsichten fasste oder den Mordplan ausdachte und sich dazu entschloss, ihn auszuführen. Manche denken, dass schon der erste Artikel am Donnerstag in der ZEITUNG genügt habe, wieder andere halten den Freitag für den entscheidenden Tag, weil an diesem Tag die ZEITUNG immer noch keinen Frieden gab und Katharinas Nachbarschaft und Wohnung, an der sie so hing, sich als (subjektiv jedenfalls) zerstört erwies; der anonyme Anrufer. die anonyme Post – und dann noch die ZEITUNG vom Samstag und außerdem (hier wird vorgegriffen!) die SONNTAGSZEITUNG. Sind solche Spekulationen nicht überflüssig? Sie hat den Mord geplant und ausgeführt und damit basta! gewiss ist, dass sich in ihr etwas “gesteigert hat”, dass die Äußerungen ihres ehemaligen Ehemannes sie besonders aufgebracht haben, und ganz gewiss ist, dass alles, was dann in der SONNTAGSZEITUNG stand, wenn nicht auslösend, so doch keineswegs beruhigend gewirkt haben kann.
37.
Bevor der Rückstau endgültig als beendet betrachtet werden und wieder auf Samstag geblendet werden kann, muss nur noch über den Verlauf des Freitagabends und der Nacht von Freitag auf Samstag bei Frau Woltersheim berichtet werden. Gesamtergebnis: überraschend friedlich. Ablenkungsversuche von Konrad Beiters, der Tanzmusik auflegte, südamerikanische sogar. und Katharina zum Tanzen bewegen wollte, scheiterten zwar, es scheiterte auch der Versuch. Katharina von der ZEITUNG und ihrer anonymen Post zu trennen; was ebenfalls scheiterte, war der Versuch. das alles als nicht so schrecklich wichtig und vorübergehend darzustellen. Hatte man nicht Schlimmeres überstanden: das Elend der Kindheit, die Ehe mit diesem miesen Brettloh. die Trunksucht und “milde ausgedrückt Verkommenheit von Mutter, die ja letzten Endes doch auch für
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