Die Verlorene Ehre der Katerina Blum
Katharina Blum, inzwischen fast völlig apathisch, schüttelte nur den Kopf, während sie da saß und die beiden Ausgaben der· ZEITUNG nach wie vor mit der rechten Hand umklammerte. Sie wurde dann entlassen und verließ gemeinsam mit Frau Woltersheim und deren Freund Konrad Beiters das Präsidium.
33.
Als man die unterschriebenen Vernehmungsprotokolle noch einmal durchsprach .und auf mögliche Befragungslücken überprüfte, warf Dr. Korten die Frage auf, ob man denn nun nicht ernsthaft versuchen müsse, dieses Scheichs mit dem Namen Karl habhaft zu werden und dessen höchst obskure Rolle in dieser Sache zu untersuchen. Er sei doch sehr erstaunt, dass noch keinerlei Maßnahmen zu einer Fahndung nach “Karl” eingeleitet worden seien. Schließlich sei doch dieser Karl offensichtlich zusammen, wenn nicht gemeinsam mit Götten im Café Polkt aufgetaucht, habe sich ebenfalls in die Party gedrängt, und seine Rolle erscheine ihm, Korten, doch recht undurchsichtig, wenn nicht verdächtig. Hier brachen nun alle Anwesenden in Lachen aus, sogar die zurückhaltende Kriminalbeamtin Pletzer erlaubte sich ein Lächeln. Die Protokollführerin, Frau Anna Lockster, lachte so vulgär, dass sie von Beizmenne zurechtgewiesen werden musste. Und da Korten immer noch nicht begriff, klärte ihn sein Kollege flach schließlich auf. Ob Korten denn nicht klargeworden oder gar aufgefallen sei, dass Kommissar Beizmenne den Scheich absichtlich übergangen oder unerwähnt gelassen habe? Es sei doch offensichtlich, dass er einer “unserer Leute” sei und das angebliche Selbstgespräch auf der Toilette nichts weiter als eine – allerdings ungeschickt betriebene – Benachrichtigung seiner Kollegen per Minifunkgerät, die Verfolgung des Götten und der Blum, deren Adresse natürlich inzwischen bekannt gewesen sei, aufzunehmen. “Und gewiss ist Ihnen ebenfalls klar, Herr Kollege, dass in dieser Karnevalssaison Scheichkostüme die beste Tarnung sind, denn heuer sind aus naheliegenden Gründen Scheichs beliebter als Cowboys.” “Natürlich”, fügte Beizmenne hinzu, “war uns von vornherein klar, dass der Karneval es den Banditen erleichtern wurde unterzutauchen und es uns erschweren würde, auf der heißen Spur zu bleiben, denn Götten wurde schon seit sechs-und-dreißig Stunden auf Schritt und Tritt verfolgt. Götten, der übrigens nicht verkleidet war, hatte auf einem Parkplatz, von dem er später den Porsche stahl, in einem VW-Bus übernachtet, hatte später in einem Café gefrühstückt, auf dessen Toilette er sich rasierte und umzog. Wir haben ihn keine Minute aus dem Auge verloren, etwa ein Dutzend als Scheichs, Cowboys und Spanier verkleidete Beamte, alle mit Minifunkgeräten ausgestattet, als verkaterte Ballheimkehrer getarnt, waren auf seiner Spur, um Kontaktversuche sofort zu melden. Die Personen, mit denen Götten bis zum Betreten des Café Polkt in Berührung kam, sind alle erfasst und überprüft worden:
ein Schankkellner, an dessen Theke er Bier trank
zwei Mädchen, mit denen er in einem Altstadtlokal tanzte
ein Tankwart in der Nähe Holzmarkt, wo er den gestohlenen Porsche auftankte
ein Mann am Zeitungskiosk in der Matthiasstraße
ein Verkäufer in einem Zigarettenladen
ein Bankbeamter, bei dem er siebenhundert amerikanische Dollar tauschte, die wahrscheinlich aus einem Bankraub stammen.
Alle diese Personen sind eindeutig als Zufalls-, nicht als Plankontakte identifiziert worden, und keins der mit jeder einzelnen Person gewechselten Worte lässt Rückschlüsse auf einen Code zu. Ich lasse mir aber nicht einreden, dass die Blum ebenfalls ein Zufallskontakt war. Ihr Telefongespräch mit der Scheumel, die Pünktlichkeit, mit der sie bei der Woltersheim auftauchte, auch die verfluchte Innigkeit und Zärtlichkeit, mit der die beiden von der ersten Sekunde an getanzt haben – und wie rasch sie dann miteinander abgezischt sind -, alles spricht gegen Zufall. Vor allem aber die Tatsache, dass sie ihn angeblich ohne Abschied hat gehen lassen und ihm ganz offensichtlich einen Weg aus dem Wohnblock gezeigt hat, der unserer strengen Überwachung entgangen sein muss. Wir haben den Wohnblock, d. h. das Gebäude innerhalb des Wohnblocks, in dem sie wohnt, keinen Augenblick aus dem Auge verloren. Natürlich konnten wir nicht das gesamte Areal von fast eineinhalb Quadratkilometern total überwachen. Sie muss einen Fluchtweg gekannt und ihn ihm gezeigt haben, außerdem bin ich sicher, dass sie für ihn – und möglicherweise für andere
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