Die Verlorene Ehre der Katerina Blum
zu spät, wenn man bedachte, dass man ihn besser schon donnerstags angerufen hätte) am Tage anrief. Er war nicht sehr freundlich, sagte, die Vernehmung von Katharina sei abgeschlossen, er könne nicht sagen, ob ein Verfahren gegen sie eröffnet werde, im Augenblick bedürfe sie sicher des Beistands, aber noch nicht eines Rechtsbeistandes. Hatte man vergessen, dass Karneval war und auch Staatsanwälte ein Recht auf einen Feierabend und gelegentliche Feiern haben? Nun, immerhin kennt man sich schon seit 24 Jahren, hat miteinander studiert, gepaukt, Lieder gesungen, sogar Wanderungen gemacht, und da nimmt man die ersten Minuten schlechter Laune nicht so wichtig, zumal man selbst sich so äußerst ungemütlich fühlt, aber dann – und das von einem Staatsanwalt – die Bitte, weiteres doch lieber mündlich und nicht gerade fernmündlich zu besprechen. Ja, belastet sei sie, manches sei äußerst unklar, aber nicht mehr, vielleicht später am Nachmittag mündlich. Wo? In der Stadt. Ambulierenderweise am besten. Im Foyer des Museums. Sechzehnuhrdreißig. Keine telefonische Verbindung mit Katharinas Wohnung, keine mit Frau Woltersheim, keine beim Ehepaar Hiepertz. Ungemütlich auch, dass das Fehlen von Katharinas ordnender Hand so rasch und so deutlich spürbar wurde. Wie kommt es bloß, dass innerhalb einer halben Stunde, obwohl man doch nur Kaffee aufgegossen. Knäckebrot, Butter und Honig aus dem Schrank geholt hat, schon das Chaos ausgebrochen zu sein scheint. und schließlich wurde sogar Trude gereizt, weil er sie immer wieder fragte, wo sie denn da einen Zusammenhang sehe zwischen Katharinas Affäre und Alois Sträubleder oder gar Lüding, und sie ihm so gar nicht entgegenkam, nur immer wieder in ihrer gespielt naiv-ironischen Art, die er sonst mochte, an diesem Morgen aber gar nicht schätzte, auf die beiden Ausgaben der ZEITUNG verwies, und ob ihm da nicht ein Wort besonders aufgefallen sei, und als er fragte welches, verweigerte sie die Auskunft mit dem sarkastischen Hinweis, sie wolle seinen Scharfsinn auf die Probe stellen, und er las wieder und wieder “diesen Dreck, diesen verfluchten Dreck, der einen über die ganze Welt hin verfolgt”, las unkonzentriert, weil der Ärger über seine verfälschte Äußerung und die “rote Trude” immer wieder hochkam, bis er kapitulierte und Trude demütig bat, ihm doch zu helfen, er sei so außer sich, dass sein Scharfsinn versage, und außerdem sei er ja seit Jahren nur” noch als Industrie-, kaum noch als Kriminalanwalt tätig, woraufhin sie trocken sagte “Leider”, dann aber Erbarmen zeigte und sagte “Fällt dir denn das Wort Herrenbesuch nicht auf. und ist dir nicht aufgefallen, dass ich es auf die Telegramme bezogen habe? Würde etwa jemand diesen Götting – nein Götten, schau dir doch seine Fotos mal genau an -, würde jemand ihn, ganz gleich, wie er gekleidet sein mag, denn als Herrenbesuch bezeichnen? Nein, nicht wahr, so etwas nennt man in der Sprache freiwillig spitzelnder Mitbewohner immer noch Männerbesuch, und ich verwandle mich auf der Stelle in eine Prophetin und sage dir, dass wir in spätestens einer Stunde ebenfalls Herrenbesuch bekommen, und was ich dir außerdem prophezeie: Ärger, Konflikte – und möglicherweise das Ende einer alten Freundschaft, Ärger auch mit deiner roten Trude, und mehr als Ärger mit Katharina, die zwei lebensgefährliche Eigenschaften hat: Treue und Stolz, und sie wird niemals, niemals zugeben, dass sie diesem Jungen einen Fluchtweg gezeigt hat, den wir, sie und ich, gemeinsam studiert haben. Ruhig, mein Liebster, ruhig: es wird nicht rauskommen, aber genaugenommen bin ich schuld, dass dieser Götten ungesehen aus ihrer Wohnung verschwinden konnte. Du erinnerst dich sicher nicht mehr, dass ich einen Plan der gesamten Heizungs-, Lüftungs-, Kanalisations- und Leitungsanlagen von “Elegant am Strom wohnen” in meinem Schlafzimmer hängen hatte. Da waren die Heizungsschächte rot, die Lüftungsschächte blau, die Kabelleitungen grün und die Kanalisation gelb eingezeichnet: Dieser Plan hat Katharina derart fasziniert – wo sie doch selbst so eine ordentliche, planende, fast genial planende Person ist -, dass sie immer lange davorstand und mich immer wieder nach Zusammenhängen und Bedeutungen dieses “abstrakten Gemäldes” – so nannte sie es – fragte, und ich, ich war drauf und dran, ihr eine Kopie davon zu besorgen. Ich bin ziemlich erleichtert, dass ich”s nicht getan habe, stell dir vor, man hätte eine
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