Die Verlorene Ehre der Katerina Blum
ausgesetzt werde, und ein Interview nicht in Frage käme. Den Hinweis, Frau Blum sei durch die Verbindung ihrer Tochter zu Götten ebenfalls “Person der Zeitgeschichte”, konterte der Arzt mit dem Hinweis, auch Personen der Zeitgeschichte seien für ihn zunächst Patienten. Nun hatte Tötges während dieser Gespräche festgestellt, dass im Hause Anstreicher wirkten, und sich später Kollegen gegenüber geradezu damit gebrüstet, dass es ihm durch Anwendung des “simpelsten aller Tricks, nämlich des Handwerkertricks” – indem er sich einen Kittel, einen Farbtopf und einen Pinsel besorgte -, gelungen sei, am Freitagmorgen dennoch zu Frau Blum vorzudringen, denn nichts sei so ergiebig wie Mütter, auch kranke; er habe Frau Blum mit den Fakten konfrontiert, sei nicht ganz sicher, ob sie das alles kapiert habe, denn Götten sei ihr offenbar kein Begriff gewesen, und sie habe gesagt: “Warum musste das so enden, warum musste das so kommen?”, woraus er in der ZEITUNG machte: “So musste es ja kommen, so musste es ja enden.” Die kleine Veränderung der Aussage von Frau Blum erklärte er damit, dass er als Reporter darauf eingestellt und gewohnt sei, “einfachen Menschen Artikulationshilfe zu geben”.
43.
Es war nicht einmal mit Gewissheit zu ermitteln, ob Tötges tatsächlich bis zu Frau Blum durchgedrungen war oder ob er, um die in der ZEITUNG zitierten Sätze von Katharinas Mutter als Ergebnis eines Interviews ausgeben zu können, seinen Besuch erlogen bzw. erfunden hatte, um seine journalistische Cleverness oder Tüchtigkeit zu beweisen und nebenher etwas anzugeben. Dr. Heinen, Schwester Edelgard” eine spanische Krankenschwester namens Huelva, eine portugiesische Putzfrau namens Puelco – alle halten es für ausgeschlossen, dass “dieser Kerl tatsächlich die Frechheit besessen haben könnte, das zu tun” (Dr. Heinen). Nun ist zweifellos nicht nur der wenn auch möglicherweise erfundene, aber zugegebene Besuch bei Katharinas Mutter ganz gewiss ausschlaggebend gewesen, und es fragt sich natürlich, ob das Krankenhauspersonal einfach leugnet, was nicht sein durfte, oder Totges, um die Zitate von Katharinas Mutter als wörtlich zu decken, den Besuch bei ihr erfand. Hier soll absolute Gerechtigkeit walten. Es gilt als erwiesen, dass Katharina sich ihr Kostüm schneiderte, um in eben jener Kneipe, aus der der unglückselige Schöner “mit einer Bumme abgehauen” war, Recherchen anzustellen, nachdem sie das Interview mit Tötges bereits verabredet hatte und nachdem die SONNTAGSZEITUNG einen weiteren Bericht von Tötges publiziert hatte. Man muss also abwarten. Sicher ist, nachgewiesen, belegt geradezu, dass Dr. Heinen überrascht war vom plötzlichen Tod seiner Patientin Maria Blum, und dass er “unvorhergesehene Einwirkungen wenn nicht nachweisen, so doch auch nicht ausschließen kann”. Unschuldige Anstreicher sollen hier keinesfalls verantwortlich gemacht werden. Die Ehre des deutschen Handwerks darf nicht befleckt werden: weder Schwester Edelgard noch die ausländischen Damen Huelva und Puelco können dafür garantieren, dass alle Anstreicher – es waren vier von der Firma Merkens aus Kuir – wirklich Anstreicher waren, und da die vier an verschiedenen Stellen arbeiteten, kann niemand wirklich wissen, ob da nicht einer, mit Kittel, Farbtopf und Pinsel ausgestattet, sich eingeschlichen hat. Fest steht: Tötges hat behauptet (von zugegeben kann nicht gesprochen, werden, da sein Besuch nicht wirklich nachweisbar ist), bei Maria Blum gewesen zu sein und sie interviewt zu haben, und diese Behauptung ist Katharina bekannt geworden. Herr Merkens hat auch zugegeben, dass natürlich nicht immer alle vier Anstreicher gleichzeitig anwesend waren und dass, wenn jemand sich hätte einschleichen wollen, das eine Kleinigkeit gewesen. wäre. Dr. Heinen hat später gesagt, er würde die ZEITUNG auf das veröffentlichte Zitat von Katharinas Mutter hin anzeigen, einen Skandal hervorrufen, denn das sei, wenn wahr, ungeheuerlich – aber seine Drohung blieb so wenig ausgeführt wie das “In-die-Fresse-hauen”, das Blorna Sträubleder angedroht hatte.
44.
Gegen Mittag jenes Samstags, des 23. Februar 1974, trafen im Café Kloog in Kuir (es handelt sich um einen Neffen jenes Gastwirts, bei dem Katharina als junge Frau gelegentlich in der Küche und als Serviererin aushalf) die Blornas, Frau Woltersheim, Konrad Beiters und Katharina endlich zusammen. Es fanden Umarmungen statt, und es flossen Tränen, sogar von Frau
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