Die Verlorene Ehre der Katerina Blum
in die Wohnung vorzudringen, bei dieser Gelegenheit habe er ihr den Ring einfach aufgedrängt. Das sei alles. Sie habe deshalb seine Besuche nicht zugegeben bzw. seinen Namen nicht preisgegeben, weil sie es für unmöglich angesehen habe, den vernehmenden Beamten zu erklären, dass nichts, rein gar nichts, nicht einmal ein einziger Kuss zwischen ihnen gewesen sei. Wer würde ihr schon glauben, dass sie einem Menschen wie Sträubleder widerstehen würde, der ja nicht nur wohlhabend sei, sondern in Politik. Wirtschaft und Wissenschaft seines unwiderstehlichen Charmes wegen geradezu berühmt sei, fast wie ein Filmschauspieler, und wer würde einer Hausangestellten wie ihr schon glauben, dass sie einem Filmschauspieler widerstehen würde, und nicht einmal aus moralischen, sondern aus Geschmacksgründen? Er habe einfach nicht den geringsten Reiz auf sie ausgeübt. und sie empfinde diese ganze Herrnbesuchsgeschichte als das scheußlichste Eindringen in eine Sphäre, die sie nicht als Intimsphäre bezeichnen möchte, weil das missverständlich sei, denn sie sei ja nicht andeutungsweise intim mit Sträubleder geworden – sondern weil er sie in eine Lage gebracht habe, die sie niemand, schon gar nicht einem Vernehmungskommando hätte erklären können. Letzten Endes aber – und hier lachte sie – habe sie doch eine gewisse Dankbarkeit für ihn empfunden, denn der Schlüssel zu seinem Haus sei für Ludwig wichtig gewesen, oder wenigstens die Adresse, denn – hier lachte sie wieder – Ludwig wäre gewiss auch ohne Schlüssel dort eingedrungen, aber der Schlüssel habe es natürlich erleichtert, und sie habe auch gewusst, dass die Villa über Karneval unbenutzt sei, denn gerade zwei Tage vorher habe Sträubleder sie wieder einmal aufs äußerste belästigt, geradezu bedrängt und ihr ein Karnevalswochenende dort vorgeschlagen, bevor er die Teilnahme an der Tagung in Bad B. zugesagt habe. Ja, Ludwig habe ihr gesagt, dass er von der Polizei gesucht würde, er habe ihr aber nur gesagt, dass er Bundeswehrdeserteur sei und dabei, sich ins Ausland abzusetzen, und – zum drittenmal lachte sie – es habe ihr Spaß gemacht, ihn eigenhändig in den Heizungsschacht zu expedieren und auf den Notausstieg zu verweisen, der am Ende von “Elegant am Strom wohnen” an der Ecke zur Hochkeppelstraße ans Tageslicht führte. Nein, sie habe zwar nicht geglaubt, dass die Polizei sie und Götten überwache, sondern sie habe das als eine Art Räuber- und Gendarmromantik angesehen, und erst am Morgen – tatsächlich sei Ludwig schon um sechs Uhr früh weggegangen – habe sie zu spüren bekommen, wie ernst das Ganze gewesen sei. Sie zeigte sich erleichtert darüber, dass Götten verhaftet sei, nun, sagte sie, könne er keine Dummheiten mehr machen. Sie habe die ganze Zeit über Angst gehabt, denn dieser Beizmenne sei ihr unheimlich.
45.
Es muss hier festgestellt und festgehalten werden, dass Samstagnachmittag und -abend fast nett verlief en, so nett, dass alle – die Blornas, Else Woltersheim und der merkwürdig stille Konrad Beiters – ziemlich beruhigt waren. Schließlich empfand man – und sogar Katharina selbst – die “Lage als entspannt”. Götten verhaftet, die Vernehmungen von Katharina abgeschlossen, Katharinas Mutter, wenn auch vorzeitig, von einem schweren Leiden erlöst, die Beerdigungsformalitäten waren eingeleitet, alle erforderlichen Dokumente in Kuir für den Rosenmontag versprochen, an dem ein Verwaltungsangestellter sich freundlicherweise bereit erklärt hatte, sie trotz des Feiertages auszustellen. Schließlich bestand auch ein gewisser Trost darin, dass der Cafehausbesitzer Erwin Kloog. der jede Bezahlung des Verzehrten (es handelte sich um Kaffee, Liköre, Kartoffelsalat, Würstchen und Kuchen) strikt ablehnte, beim Abschied sagte: “Kopf hoch, Kathrinchen, nicht alle hier denken schlecht von dir.” Der Trost, der in diesen Worten verborgen war, mochte relativ sein, denn was heißt schon “nicht alle?” aber immerhin waren es eben “nicht alle”. Man einigte sich darauf, zu Blornas zu fahren und dort den Rest des Abends zu verbringen. Dort wurde Katharina strikt verboten, ihre ordnende Hand anzulegen, sie habe Urlaub und solle sich entspannen. Es war Frau Woltersheim, die Brote zurechtmachte, während Blorna und Beiters sich um den Kamin kümmerten. Tatsächlich ließ Katharina sich “einmal verwöhnen”. Es wurde später richtig nett, und wäre da nicht ein Todesfall und die Verhaftung eines sehr lieben
Weitere Kostenlose Bücher