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Die verlorene Kolonie

Die verlorene Kolonie

Titel: Die verlorene Kolonie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anette Strohmeyer
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Datei habe ich einen Verweis gefunden. Ein Restaurant namens ‚Ambassador‘. Es war mit den Initialen O.R.H. getaggt. Vielleicht hilft Ihnen das weiter.“
    Ich wurde hellhörig. Die Ambassador-Werbung hatte ich doch im Netz gesehen. „Und wo befindet sich dieses Restaurant? Ich welcher Stadt ist es?“, fragte ich und spürte, wie die Aufregung mich packte.
    „Das steht hier leider nicht, aber ich habe ein Archivbild aus einem Katalog, der leider nicht mehr existiert. Soll ich es Ihnen zuschicken?“
    „Gerne.“
    „Schon geschehen, es müsste in Ihrem Postfach sein.“
    „Vielen Dank, Mrs. Kelly.“
    „Gern geschehen. Einen angenehmen Tag noch.“
    „Das wünsche ich Ihnen auch.“ Hastig legte ich auf und öffnete das Bild. Es zeigte eine große Terrasse mit mehreren elegant eingedeckten Tischen und silbernen Kerzenleuchtern. Auf den bordeauxfarbenen Servietten waren goldene, ineinander verschlungene Initialen eingestickt: O. R. H.
    Das kann nur Olympic Regent Hotel heißen , dachte ich und betrachtete den Rest des Bildes. Hinter einer gläsernen Balustrade öffnete sich der Blick auf das Panorama einer Stadt, deren Dächer rot im Licht des Sonnenuntergangs glommen. Im Zentrum strebte ein hoher, eckiger Turm in den glühenden Himmel, wahrscheinlich ein Hochhaus. Es überragte die anderen Gebäude um mehr als die Hälfte.
    Welche Stadt hatte eine solche Skyline? Sie kam mir nicht bekannt vor.
    Ich lenkte meine Betrachtung auf die Personengruppe, die an der Balustrade in der Mitte des Bildes stand und andächtig dem glosenden Feuerball am Horizont zugewandt war. Sie waren chic und teuer gekleidet. Eine feierliche Gesellschaft. Oder nur die ganz „normalen“ Gäste des Restaurants? Leider konnte ich nur ihre Rückseiten sehen. Dafür bemerkte ich am rechten Bildrand zwei weitere Personen, eine hochgewachsene, schlanke und eine kleine pummelige. Genauer gesagt, spiegelten sie sich in den zur Terrasse hin geöffneten, bodentiefen Fenstern. Wahrscheinlich die Kellner, die darauf warteten, Bestellungen aufzunehmen.
    Ich vergrößerte den Ausschnitt und meine Hand begann plötzlich zu zittern. Ich spürte, wie mir das Blut aus dem Gesicht wich und meine Kinnlade herunterklappte. Entweder, das alles war ein Irrtum, oder unsere Haushälterin hatte mich heute Morgen eiskalt angelogen. Auf dem Bild war eindeutig Selma zu erkennen … und die strenge, blonde Frau von dem Foto mit der Hotellobby!
    Fassungslos starrte ich auf das Display. Erst nach einer ganzen Weile, war ich in der Lage, wieder einen klaren Gedanken zu fassen. Schnell speicherte ich das Bild ab, um es später Selma zu zeigen. Vielleicht war es so, wie sie sagte, und sie konnte sich tatsächlich nicht daran erinnern.
    Als ich mich vor dem Diner auf mein Fahrrad schwang, spürte ich, dass ich einen ungewollten Begleiter hatte. Es war ein dunkler Schatten des Misstrauens, der mir folgte. Misstrauen in unsere liebenswerte Selma, unsere Haushälterin und Kinderfrau. Selma, die mich als Kind auf dem Schoß geschaukelt und mir Geschichten erzählt hatte.
    Erschrocken musste ich feststellen, wie wenig ich über sie wusste. Seit zwei Jahrzehnten kümmerte sie sich um unseren Haushalt, kochte für uns und pflegte den Garten. Aber wer war diese Selma wirklich? Was mochte sie? Dass sie Dahlien liebte, das wusste ich, aber was war ihre Lieblingsspeise, was sah sie im Fernsehen? Sah sie überhaupt fern? Ich war noch nie in ihrer Wohnung gewesen. Wie konnte es sein, dass man so lange mit einer Person zusammenlebte und sie doch so wenig kannte?
    Mit diesen düsteren Gedanken fuhr ich durch die Dämmerung zur St. Johns Universität und erreichte das Gebäude der Geowissenschaften um 16.45 Uhr. Fünf Minuten später klopfte ich an das Büro von Mr. Dudley.
    „Nanu, Junge, du bist ja ganz außer Atem!“, empfing mich der alte Scientific Assistant.
    „Hallo, Mr. Dudley. Entschuldigen Sie die Verspätung, ich bin mit dem Fahrrad gekommen.“
    Die buschigen weißen Brauen hoben sich. „Ah, mit dem guten alten Drahtesel! Es ist eine Schande, dass es sie kaum noch gibt. Die Leute sind zu bequem geworden und fahren nur noch elektrisch durch die Gegend. Deshalb ist auch die Hälfte der Menschheit verfettet! Es ist lobenswert, dass wenigstens du noch mit eigener Muskelkraft unterwegs bist, Junge. Ich selbst habe auch so ein Strampeldings zu Hause stehen und fahre abends eine halbe Stunde darauf. Das hält fit! Aber nun komm herein. Du willst dir bestimmt keinen Vortrag

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