Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Verlorenen - Die Soldaten in Napoleons Russlandfeldzug

Die Verlorenen - Die Soldaten in Napoleons Russlandfeldzug

Titel: Die Verlorenen - Die Soldaten in Napoleons Russlandfeldzug Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eckart Klessmann
Vom Netzwerk:
Reiter mit ihrer Fourage Thorn passierten, wurde ihnen auch noch »das bei sich gehabte Schlachtvieh und Lebensmittel« von der französischen Kaisergarde »mit Gewalt abgenommen«, so von Woellwarth.
    Die Beschwerde der Polen fand bei Napoleon ein offenes Ohr. Schon lange hegte der Kaiser eine tiefe Abneigung gegen die Württemberger. Ihr Befehlshaber, Kronprinz Friedrich Wilhelm, war ihm äußerst unsympathisch, denn Napoleon hielt ihn für illoyal. Statt Beweisen genügte ihm die Antipathie. Auch erinnerte sich der Kaiser, daß während des Krieges mit Preußen 1806/07 neben den Bayern besondersdie Württemberger in Schlesien übel gehaust hatten und die französischen Generale mit Klagen aus der von Plünderungen und Vergewaltigungen heimgesuchten Bevölkerung überhäuft worden waren. Daß die nun verübten »Exzesse« von einem seiner Marschälle angeordnet worden waren, scheint Napoleon unbekannt geblieben zu sein. Jedenfalls war sein Zorn gewaltig. Die Polen verehrten den Kaiser, von dem sie glaubten, er beabsichtige, ihr altes Königreich wiederherzustellen, und diese Menschen durften jetzt am wenigsten enttäuscht werden. Auf den räuberischen Akt seiner Garde vor Thorn hätte man Napoleon gar nicht ansprechen dürfen, denn seine Elite-Truppe, mit über 40 000 Soldaten eine Armee in der Armee, stand jenseits aller sonst angelegten Maßstäbe. Und dieser Garde mangelte es an nichts – sie bekam die besten Waffen, die schönsten Uniformen, die vorzüglichste Verpflegung, weshalb dieses verhätschelte Korps, das sich alles erlauben durfte, sehr bald zu einem wahren Haßobjekt innerhalb der Grande Armée gedieh.
    Napoleon handelte augenblicklich: Schon in Frankfurt a. d. Oder hatte er ein württembergisches Kavallerie-Regiment aus dem Korps herausnehmen lassen und in ein anderes unter französischem Kommando versetzt. Die verbliebenen drei Regimenter wurden jetzt ihren Kommandeuren, den Generalen von Woellwarth und von Walsleben, entzogen und der französischen Kavallerie-Reserve unterstellt. Die so beschäftigungslos gewordenen Generale wurden kaltgestellt; der erkrankte von Woellwarth blieb bis August in Königsberg zurück, von Walsleben wurde sogar verhaftet und arretiert. Beide kehrten später, ohne je rechtskräftig verurteilt worden zu sein, nach Stuttgart zurück. Dahinter stand der Gedanke, die deutschen Alliierten möglichst nur noch von französischen Generalen führen zu lassen und deutsche Kommandeure überflüssig zu machen.
    Die Masse der Soldaten hat das nicht berührt. Neben der täglichen Sorge um ihre Ernährung bedrückte sie auch ihreUnterbringung, denn sie wurden bei Bauern und Bürgern einquartiert, deren Behausungen jeder Hygiene spotteten. Quartiere auf dem Land waren angesichts der völlig verschmutzten und verlausten Häuser nicht zumutbar, zumal die Bauern auch noch mit ihrem Vieh zusammenlebten. Lieber biwakierte man dann unter freiem Himmel. So sagte in Szrem ein Korporal zu Heinrich von Brandt: »Glauben Sie mir, Herr Leutnant, ein spanischer Schweinestall ist reinlicher als mein Judenquartier – ich habe mich auch sofort mit meinen 4 Mann ausquartiert, und wir werden im Holzstall hausen, wo wir wenigstens nicht so von Ungeziefer geplagt sind.«
    Oberleutnant Gieße, einquartiert bei einem Bäckermeister in Kozmineck, hatte seinem Tagebuch am 16. April anvertraut: »Mit 7 Soldaten war mein Aufenthalt in dem Wohnzimmer der Familie als dem einzigen im Hause, was nicht sehr geräumig, dabei schmutzig, niedrig und nur durch drei kleine Fenster erhellt war. Der Hauswirt, dessen Frau, 6 Kinder und 2 Mägde – waren es unserer also 18 Personen, die miteinander in dieser Spelunke zusammen hinbringen mußten. Dabei diente der Kamin gleichzeitig zur Küche. Saß nun die Hausfrau am Feuer und kochte, so lag ihr das jüngste, kaum einjährige Kind, welches hektisch krank war, im Schoße. Entledigte sich dasselbe, was fleißig geschah, seiner Notdurft – gleich sprang der große zottige Haushund herbei und fraß die Exkremente mit Begierde auf, beleckte dazu noch den Hintern, um der Mutter die Mühe des Reinigens zu ersparen, und ging, vergnüglich über den gehabten Schmaus, wieder schwanzwedelnd von dannen. Dieses und daß die erwachseneren Kinder zerlumpt und schmutzig in Grind und Läusen starrend herumliefen und Mutwillen trieben, war nicht zur Schärfung des Appetits gemacht.«
    Die Kavallerie traf es härter, da sie meist im Freien kampieren mußte, wie Leutnant Rüppell berichtet:

Weitere Kostenlose Bücher