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Die Verlorenen - Die Soldaten in Napoleons Russlandfeldzug

Die Verlorenen - Die Soldaten in Napoleons Russlandfeldzug

Titel: Die Verlorenen - Die Soldaten in Napoleons Russlandfeldzug Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eckart Klessmann
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»Obschon die Witterung ganz gut war, so gewährten unsere Biwaks keine besondere Annehmlichkeit, da sie meist auf Wiesen bezogenwurden, die teilweise feucht und des Morgens mit einem dicken Reif überzogen waren; hatte man nun da genächtigt und kroch unter der elenden Hütte aus ein paar Reiserzweigen hervor, so schwollen einem die Augenlider; die Stiefel wurden sehr naß und peinigten hernach den Fuß, wenn die brennenden Sonnenstrahlen senkrecht herabschossen. Ich nahm gewöhnlich zum Kopfkissen einen meiner Sättel und deckte mich mit dem Mantel zu, und ungeachtet der Unterlage von etwas Stroh war die Seite, auf der ich gelegen, von Feuchtigkeit durchdrungen.«
    Glücklicher hatten es jene wenigen Soldaten – meist Offiziere – getroffen, die in den Landsitzen der Hocharistokratie untergekommenen waren, von deren »orientalischem Luxus« der württembergische Leutnant Karl Gottlieb Friedrich von Kurz (3. Armeekorps) spricht, der diesen Adligen »die feinsten Sitten« nachrühmt, die Pflege der Musik und der französischen Sprache. »Die Damen dieser Kaste sind häufig von seltener Schönheit, nicht selten hohen Geistes und mit allen Grazien der Weiblichkeit ausgeschmückt.«
    Der sonst sehr kritische Christian von Martens, Leutnant im württembergischen Infanterie-Regiment Nr. 6 »Kronprinz« im 3. Armeekorps, der sich in seinem Tagebuch über »Schmutz, Trägheit, Unfreundlichkeit und knechtische Unterwürfigkeit« beschwert, wird milder, wenn er von den Polinnen spricht, die er »flinker und freundlicher, dabei schöner gestaltet als die Männer« findet. »Wohl mag auch der Anzug das Seinige beitragen, denn während diese in ekelhaften Schafpelzröcken, die vor Schmutz glänzen und Ungeziefer verbergen, einhergehen, tragen jene anliegende Jacken und Mieder, wobei die langen schwarzen Zöpfe zu dem brünetten Gesichte und den lebhaften dunkeln Augen sehr gut stehen; barfüßig gehen aber alle einher und tragen Sandalen höchstens über Feld.« Ludwig Wilhelm von Conrady, Oberstleutnant im 6. westphälischen Infanterie-Regiment (8. Armeekorps), pries ebenfalls die Schönheit der Frauen von Kalisch,zeigte sich allerdings etwas irritiert über ihre erotische Freizügigkeit, mit der sie sich während einer Parade der westphälischen Truppen vor ihrem König Jérôme »mit einer Frechheit und Schamlosigkeit« anboten, »die unter aller Würde war. So habe ich z. B. bei dieser Parade sehr viele Mädchen gesehen, die völlig hüllenlos am Fenster standen und die Offiziere durch Gebärden zu Besuch einluden!« Dieses großzügige erotische Entgegenkommen der Polinnen habe Conrady zufolge viele Soldaten zur Desertion verleitet. Allerdings dürften wohl weniger die Frauen als der eklatante Mangel an Verpflegung der Grund hierfür gewesen sein. Mehrere Augenzeugen berichten sogar von einer erschreckenden Zunahme von Selbstmorden unter den demoralisierten Soldaten, die schon zu Beginn dieses Feldzugs jede Hoffnung auf eine bessere Zukunft, die sie sich einst mit der Teilnahme an diesem Krieg versprachen, verloren hatten.
    Ein besonderes Problem für die deutschen Soldaten stellten die Juden dar, ein Problem deshalb, weil die meisten von ihnen beträchtliche antijüdische Ressentiments aus der Heimat mitgebracht hatten. Man dürfe mit Recht »Polen, Litauen mit inbegriffen, ein zweites Judäa nennen«, fand Leutnant von Kurz. »Der Handel liegt hier in der Hand der Juden«, berichtet Ludewig Fleck, Soldat im westphälischen Bataillon der Garde-Jäger-Carabiniers. Sie seien »sehr dienstfertig und eifrig« und leisteten, »wenn es ihnen reichlich bezahlt wurde, auch als Dolmetscher gute Dienste«. Wenn es ihnen reichlich bezahlt wurde – gerade das ärgerte die Soldaten, die offenbar nicht sehen wollten, daß sich nichtjüdische Kaufleute keineswegs anders verhielten. So zeigte sich Leutnant von Suckow erbost, als ihm sein jüdischer Quartierwirt sagte: »Wenn der Herr wird haben Geld, wird er bekommen zu essen; wird er nicht haben Geld, wird er nichts bekommen!« Leutnant von Martens staunte, als ihm und seinen Regimentskameraden in Posen »unzählig viele Juden« polnische Wörterbücher zum Kauf anboten; auf diese Idee waren die christlichen Kaufleutenicht gekommen. Ihre Findigkeit, Geschicklichkeit und eminente Geschäftstüchtigkeit machte die Juden gerade für die notleidenden Soldaten unentbehrlich, allerdings auch verhaßt, weil sie gegen überhöhte Bezahlung einfach alles zu beschaffen verstanden, was Napoleons

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