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Die Verlorenen - Die Soldaten in Napoleons Russlandfeldzug

Die Verlorenen - Die Soldaten in Napoleons Russlandfeldzug

Titel: Die Verlorenen - Die Soldaten in Napoleons Russlandfeldzug Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eckart Klessmann
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durch und durch korrupter Verwaltungsapparat den Truppen vorenthielt. Der sächsische Husar Theodor Goethe hingegen beschreibt andere Erfahrungen. Er machte in Janowiecz die Bekanntschaft eines jüdischen Gastwirts, den er »als einen achtbaren Mann kennenlernte, der in seinem Hause auf Reinlichkeit, Ordnung und guten Met hielt, ein Getränk, das in jenem Lande häufig genossen wird und aus einem Gemisch von Honig und Wasser besteht, das, in Gärung gesetzt, dann auf Fässern so lange lagert, bis es hell und trinkbar geworden ist«. Der Husar, der hier mehrere Wochen regelmäßig zum Mettrinken einkehrte, fand sich bald schon »nicht als Gast, sondern als ein Freund des Hauses behandelt«, der sogar zur Feier des Sabbats eingeladen wurde, bis er an Pfingsten mit seinem Regiment in Richtung russische Grenze weiterziehen mußte.
    Auch die »Weichsel-Legion«, die aus Polen und im Herzogtum Warschau ansässigen Preußen bestand und zu deren Offizierskorps Leutnant Heinrich von Brandt gehörte, rückte jetzt zur russischen Grenze vor. Am 19. Juni erreichte sie das ostpreußische Insterburg, und Brandt war nach den chaotischen Verhältnissen in Polen froh, daß dort die preußische Verwaltung zuständig war: »In Insterburg selbst herrschte viel Ordnung – die Verpflegung war vollkommen geregelt; die Behörden auf ihrem Posten und ihrer Hut. Sei es nun, daß die fruchtbare Gegend die Herbeischaffung der Lebensmittel erleichterte, daß die guten Pferde des Landes den schnellen und sicheren Transport ermöglichten – ich habe hier nichts gewahrt, was die traurigen Eindrücke, die wir bisher erfahren, gesteigert hätte.« Dennoch begann sich die Disziplin der Grande Armée immer mehr zu lockern, die Zahl der Nachzügler, Marodeure und Desertionen nahm zu.
    Das zum 6. Armeekorps gehörende bayerische Kontingent marschierte gleichfalls durch Ostpreußen, doch zu seinem Unglück als Nachhut der 14. französischen Infanterie-Division Broussière vom 4. Armeekorps, die schon ganze Dörfer verwüstet und ausgeraubt hatte, wie August von Thurn und Taxis, Hauptmann und Generalstabsoffizier in der 2. bayerischen Division, berichtet. In dem kleinen Dorf Sazkofen »überstiegen die Exzesse jede Beschreibung, ja als wir vor den Ort hinauskamen, begegnete uns der Edelmann, ein preußischer Oberstleutnant, ein Mann mit grauen Haaren, in seiner Uniform mit dem Orden Pour le Mérite, dem man am vergangenen Abend alles genommen, ja sogar ihn und seine Familie mit Schlägen mißhandelt hatte und der uns erzählte, daß er jetzt aus dem Hauptquartier der Division Broussière zurückkäme, wo er geklagt, aber keinen Schutz erhalten hätte«. Hier waren es die Spanier der Division Broussière, die so gewütet hatten.
    Während Husaren-Leutnant Rüpell befürchtete, es könnte am Ende gar nicht zum Krieg kommen, erinnerte sich Regimentsarzt von Roos an die Worte, die er Wochen zuvor von einem alten protestantischen Pfarrer gehört hatte, bei dem er mit einigen Offizieren im Quartier gelegen hatte, nachdem sie die Oder passiert und auf der Straße nach Posen waren. »Er lebte schon zur Zeit des Siebenjährigen Krieges in dieser Gegend, wo sein Vater ebenfalls Prediger war. Vieles erzählte er uns von seinen Erinnerungen aus jener Zeit und noch mehr von dem, was er von seinem Vater gehört hatte. Alles bezog sich auf eine für uns ungünstige Zukunft. Der brave Mann sah deutlich in das Künftige; er malte uns den strengen, kalten Winter, den wir im tiefen Rußland, mit allem Mangel kämpfend, fühlen würden, mit schwarzen Farben und hatte zum voraus Mitleiden mit uns. – ›Ihr seid eurer viel, ihr werdet im Anfang siegreich sein. Die Russen werden euch in das Mark ihres großen Reiches hineinlassen. Mittlerweile werdet ihr schwächer und werdet dann mit Frost und Mangel zu kämpfen haben. Dann erst fangen die Russen den Krieg mit vollem Ernste an;ihr werdet Mühe haben, herauszukommen, und wenige werden zurückkehren.‹ – Von den Anwesenden mißfielen dem einen diese Worte, ein anderer lachte, ein dritter murrte.« So recht glaubte diesem Propheten wohl niemand. Was sollte eine so prachtvolle Armee von fast einer halben Million Soldaten, geführt von dem besten Feldherrn der Epoche, schon zu befürchten haben? Der Krieg würde noch vor Wintereinbruch gewonnen sein, davon waren im Juni fast alle überzeugt.
    Friedrich von Schubert, damals Offizier im russischen Generalstab, hat in seinen Memoiren diese verhängnisvolle Auseinandersetzung

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