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Die Verlorenen - Die Soldaten in Napoleons Russlandfeldzug

Die Verlorenen - Die Soldaten in Napoleons Russlandfeldzug

Titel: Die Verlorenen - Die Soldaten in Napoleons Russlandfeldzug Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eckart Klessmann
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zwischen Frankreich und Rußland treffend charakterisiert, wenn er sagt: »Es ist wohl nie ein Krieg von beiden Seiten mit mehr Widerwillen angefangen worden als dieser, denn er bot nichts, was einen Krieg wünschenswert oder notwendig machen kann: Er hatte keinen eigentlichen Zweck, konnte zu keinen außerordentlichen Resultaten führen, und sein Ende war nicht abzusehen. Obwohl der Sieg Napoleons bei seiner ungeheuren Übermacht kaum zweifelhaft sein konnte, so wußte er doch, daß dieser durch Opfer erkauft werden mußte, die ihm gar keinen reellen Vorteil brachten, sondern nur einen sterilen Ruhm. Und dennoch gab dieser Krieg durch die Macht unvorhergesehener Umstände und Zufälle der Erde eine neue Gestalt, den Völkern ein neues Leben, führte zu Resultaten, welche die kühnste Phantasie kaum im Fiebertraum hätte ausmalen können.«

5. DER ÜBERGANG ÜBER DEN NJEMEN
    Am 23. Juni inspizierte Napoleon bei Tagesanbruch die Ufer des Njemen, der die Grenze Rußlands bezeichnete, um die günstigste Stelle für den Brückenschlag zu bestimmen. Auf der russischen Seite ließ sich niemand sehen, aber in dem dichten Buschwerk konnten vielleicht doch Scharfschützen versteckt sein, weswegen der Kaiser auf seine bekannte Uniform mit demcharakteristischen Hut verzichtet und die Uniform eines polnischen Offiziers angezogen hatte. Mit der genauen Erkundung des Terrains beschäftigte er sich den ganzen Tag, ohne daß ihn sein gewohnter Stab umgab, denn er wollte keine Aufmerksamkeit auf sich lenken. Nur wenige Generale begleiteten ihn, darunter Armand de Caulaincourt und Generalstabschef Alexandre Berthier. Mit ihnen ritt er abends noch einmal zum Fluß. Es war eine makellos schöne Sommernacht, der Vollmond schien, und der Sternenhimmel zeigte sich unbewölkt. Ein aufgeschreckter Hase ließ plötzlich Napoleons Pferd einen Sprung zur Seite tun, und der Kaiser, bekannt als schlechter Reiter, fiel aus dem Sattel. Außer einer leichten Quetschung der Hüfte blieb der Sturz folgenlos, doch Berthier sagte zu Caulaincourt: »Wir täten besser daran, nicht über den Njemen zu gehen. Dieser Sturz ist ein schlimmes Omen.« Allein für Napoleon, den man den ganzen Tag über »sehr ernst und versonnen« gesehen hatte, waren die Würfel gefallen. Dennoch täuschte er nun »eine Heiterkeit vor, die an ihm ungewohnt war«, bemerkte Caulaincourt, der seinen Herrn zu gut kannte, um nicht das Aufgesetzte dieses Benehmens zu durchschauen.
    Um den Brückenbau vor einem russischen Überfall zu sichern, setzten in der Dunkelheit drei Kompanien (420 Mann) vom französischen 13. Leichten Infanterie-Regiment in Booten über den Njemen. Da tauchte unversehens eine russische Husaren-Patrouille auf. Wie der polnische Major Roman Graf Soltyk, ein Mitglied des Generalstabs, berichtet, rief einer der Russen in französischer Sprache: »Wer da?« – »Frankreich!« – »Was wollt ihr hier?« – »Das sollt ihr gleich sehen!« Die russischen Husaren gaben daraufhin aus ihren Karabinern einige Schüsse ab, die aber niemanden trafen, und jagten davon. Die Franzosen erwiderten das Feuer nicht. Es war die erste Kampfhandlung, die die französischen Plänkler (tirailleurs) , in Einzelkampf ausgebildete Schützen, zum anderen Ufer begleitet hatte.
    Am Ufer des Njemen breitete sich inzwischen ein riesigesHeerlager aus, denn einige hunderttausend Soldaten warteten auf die Fertigstellung der drei Pontonbrücken, mit denen General Eblés Pioniere beschäftigt waren. Carl Anton Wilhelm Graf von Wedel, gebürtiger Magdeburger, jetzt Leutnant im französischen 9. Chevauleger-Regiment, zeigte sich beeindruckt von diesem Völkergemisch: »Dreiviertel des Heeres bestanden aus Nationen, deren wahren Interessen der beginnende Krieg schnurstracks entgegen war. Viele waren sich dessen bewußt und wünschten in der Tiefe der Brust mehr den Russen als sich selbst den Sieg, und dennoch war jede Truppe brav und focht am Tage der Schlacht, als gelte es ihre eigenen höchsten Interessen. Wer kein höheres Ziel vor Augen hatte, wer nicht wie der Pole fürs Vaterland kämpfte, oder richtiger, Napoleons Versprechen trauend, fürs Vaterland zu kämpfen glaubte, wollte wenigstens seine eigene Mannesehre und die Ehre seiner Nation hochhalten, indem er keinem anderen den Vorzug einräumte. So entstand gerade aus dieser bunten Zusammensetzung des Heeres ein edler Wettstreit des Mutes und der Tapferkeit, und wie auch der einzelne über Napoleon sonst denken mochte, ob er ihn liebte

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