Die Verlorenen - Die Soldaten in Napoleons Russlandfeldzug
ein aus Nördlingen stammender Zeichner und Maler, der zum Stab des 4. Armeekorps gehörte und den Feldzug gleichsam als Bildreporter mit dem Zeichenstift begleitete. Für die Grande Armée waren diese Verluste nicht mehr gutzumachen. Pferde fehlten der Kavallerie, sie fehlten als Zugtiere bei der Artillerie und für die großen Versorgungswagen. Ersatz war im russischen Hinterland nicht zu beschaffen, dafür hatten die Russen bei ihrem Rückzug gesorgt.
Albrecht Adam: Bei Pilony am Njemen. Adam, der das 4. Armeekorps als Maler und Zeichner begleitete, schuf am 28. Juni 1812 dieses Bild des frühen Zusammenbruchs. Ein verlassener Wagen, davor krepierte Pferde. Da niemand daran gedacht hatte, für ausreichende Bestände an Hafer und Heu zu sorgen, fraßen die Pferde meist das nasse grüne Korn und das faule Stroh von den Dächern, was ihnen den Tod brachte. Schon in den ersten Wochen starben etwa 10 000 Pferde.
»Ich fange an, den Mut sinken zu lassen«, schrieb Albrecht Adam am 11. Juli aus Olszany seiner Frau, »zwei volle Monate auf dem Marsche und für was? und durch welche Länder? Es macht mir Herzweh, daß ich die mir von Gott geschenkte Zeit so elend vergeuden muß. Krieg! das ist ein entsetzliches Wort! Da gilt keine Rücksicht auf das Wohl oder Verderben ganzer Nationen, und wehe dem, welcher sich mit dieser Furie bekannt macht und noch ein Herz hat, das für die Menschenschlägt. Was ich seit vierzehn Tagen für Elend gesehen, ist unbeschreiblich; die meisten Häuser stehen leer und sind ohne Dach. Man hat in den Gegenden, welche wir durchzogen, meistens Strohdächer, und dieses alte Stroh diente den Pferden zur Nahrung. Die Wohnungen sind ruiniert oder ausgeplündert, die Bewohner entflohen oder so arm, daß sie sich kaum vor dem Hungertode retten können; viel mehr lassen ihnen die Soldaten nicht. Alle Straßen liegen voll toter Pferde, welche bei der jetzt eingetretenen Hitze weithin einen fürchterlichen Geruch verbreiten, und das Fallen der Pferde wird noch immer ärger. Das ist ein abscheulicher Krieg. Der Feldzug von 1809 scheint nur ein Spaziergang im Vergleich mit diesem; wenn es so fortgeht, weiß ich nicht, wie es enden soll. Trotz des elenden Lebens und des beschwerlichen Umherziehens habe ich doch schon manches gezeichnet, was für mich großen Wert hat, aber diese Zeichnungen kommen teuer genug zu stehen. Und der Erfolg dieses Krieges muß außerordentlich vorteilhaft sein, wenn ein Maler für alle seine Opfer entschädigt werden soll. Dieses Herumziehen in elenden Gegenden und das damit verbundene Vergeuden der goldenen Zeit wird mir nachgerade unerträglich, ich kann es nicht verbergen, daß ich mich auf die erste Schlacht freue. Lieber will ich die Kugeln pfeifen hören als noch lange dieses trostlose Leben führen. Die Soldaten lechzen nach dem Kampfe, er wird heiß werden, wenn anders die Russen standhalten! Sollte es ihnen aber belieben, uns noch lange Zeit auf ihrem geräumigen Territorium diese amüsanten Promenaden machen zu lassen, so kann die Armee hübsch matt und müde werden, bis es zu einem entscheidenden Schlage kommt, oder man einen glorreichen Einzug in der Hauptstadt hält, was doch unser Ziel ist. Diesmal sind wir sehr gut in einem großen Edelhofe bei einem reichen Gutsbesitzer einquartiert; seine Bauern sagen ihm aber nicht viel Gutes nach, er ist in der ganzen Umgegend als ein abscheulicher Tyrann bekannt. Man hat ihm eine Schutzwache gegeben, essind ihm aber doch einige sehr schöne Pferde weggeführt worden.«
Verglichen mit anderen, hatte Adam selbst wenig zu klagen. Da er zum Stab von Eugène de Beauharnais gehörte, mangelte es ihm nicht an gepflegten Quartieren, und natürlich mußte er auch nicht Hunger leiden. Viel härter traf es die einfachen Soldaten, wie ein in der Gegend von Wilna geschriebener undatierter Brief bezeugt, den drei württembergische Soldaten aus dem Städtchen Korb an ihre Angehörigen schrieben:
»Sämtlich vielgeliebte Eltern und Geschwisterich! Mit betrübtem Herzen müssen wir Kinder euch, liebe Eltern, berichten, teils daß wir auf unsere vielen Schreiben keine Antwort erhalten haben, teils auch, in was für einer Lage wir uns ungefähr schon sechs Wochen befinden. Gesund sind wir Wagner, Hartmann und Offtermatt, aber der Schnaitmann ist nicht in bestem Stand. Seine Krankheit besteht meistens in Gemütsangelegenheiten, welches er aber sich nicht anmerken lassen will.
Hunger und Kummer haben wir sechs Wochen lang leiden müssen und
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