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Die Verlorenen - Die Soldaten in Napoleons Russlandfeldzug

Die Verlorenen - Die Soldaten in Napoleons Russlandfeldzug

Titel: Die Verlorenen - Die Soldaten in Napoleons Russlandfeldzug Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eckart Klessmann
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kühle Witterung, eigentlich Kälte, ein, das den ohnehin so entkräfteten Leuten höchst nachteilig werden mußte, so daß viele rasche Todesfälle vorkamen. In der ganzen Armee herrschten nun Erkrankungen in Masse, vorzüglich bei der Infanterie, namentlich. Durchfälle und Ruhr, häufig mit schnell eintretender Kräfte-Erschöpfung. Schon damals kam es nicht selten vor, daß Soldaten, welche Wasser oder Holz ins Lager holen sollten, nicht mehr zurückkamen, sondern unterwegs liegenblieben oderam Wasserbehälter erschöpft den Geist aufgegeben. Das Lagern fand nicht selten auf dem bloßen Erdboden statt. Man bekam nur schwer besseres Wasser als aus stehenden Seen und Sümpfen, so daß man in der Regel immer durchs Sacktuch trinken mußte. Je weiter man vorrückte, waren die Brunnen zerstört. In den Schöpfbrunnen fand man sehr häufig hineingeworfenes Vieh, öfters mehrere Stücke, so daß, wenn man sich denselben näherte, ein entsetzlicher Geruch aus ihnen bemerklich war. Bei der großen Tageswärme und Erhitzung durch die Märsche hatte bei vielen die früher übliche Angewöhnung und die Sucht, etwa Flüssiges in den Mund zu bekommen, so zugenommen, daß sich während des Marsches nicht selten zwei bis drei zumal auf die Straße hinwarfen, um Pferdsharn gierig einzuschlürfen und aufzulecken.«
    Bei einer Musterung der Division, fand man »die Reihen schon bedenklich gelichtet, denn täglich wurden Offiziere und Soldaten ins Spital nach Maliaty und Wilna gebracht«, vermerkt das Tagebuch von Leutnant Christian von Martens am 4. Juli. Am Morgen des 17. Juli mußte sein Regiment acht in der Nacht Gestorbene beerdigen, zwei Tage später waren es schon 20; 700 Kranke mußten in Maliaty zurückgelassen werden, 500 wurden nach Wilna gebracht, wo man große Spitäler eingerichtet hatte. Im Spital von Disna ließ man beim Weitermarsch am 24. Juli 400 erkrankte Soldaten zurück. Nicht gezählt wurden die in völliger Erschöpfung Zusammengebrochenen; schon am 27. Juni seien es mehr als tausend gewesen, so Leutnant Karl von Kurz. Denn die Gewaltmärsche forderten ihren Preis. Die Zurückgelassenen fanden sich zumeist wieder ein, als die württembergischen Regimenter am 2. Juli mehrere Rasttage in Maliaty eingelegt hatten, aber viele waren auch den Strapazen erlegen.
    Aus diesem Lager schrieb am 3. Juli der vierundzwanzigjährige Friedrich von Harpprecht, Oberleutnant im württembergischen Chevauleger-Regiment Nr. 1 »Prinz Adam« (3. Armeekorps, 14. Leichtes Kavallerie-Regiment), seinenEltern: »Immer in Verfolgung der flüchtigen Kosaken begriffen, des Tages auf dem Marsch und nachts auf dem Pikett (Vorposten) – kennen wir Häuser, Dächer, Stroh, ja meistens sogar warme Speisen nur vom Hörensagen; denn wenn wir abends um 9–10 Uhr auf unserm Biwak ankommen, so sind wir zu matt, um noch kochen zu können, und jeder, der sein Pferd versorgt hat, fällt sogleich daneben um. Morgens wird um 3–4 Uhr wieder marschiert. Etwas Zwieback, Speck und Branntwein sind unsere Nahrung, denn wo wir hinkommen, hat der Heuschreckenschwarm der Kosaken, welcher vor uns herzieht, alles verwüstet; – und auf die Seite zu fouragieren, haben wir keine Zeit. Noch haben wir nicht geschlagen, denn die Feinde, mit denen wir oft auf einige hundert Schritte zusammenkommen, ziehen sich jedesmal zurück.« Es mag sein, daß Harpprecht, um seine Eltern zu schonen oder der Zensur wegen, nicht das wahre Elend der Armee schildert. Er hatte bereits 1809 an Napoleons Krieg in Österreich teilgenommen und ihn überlebt.
    Als der junge Offizier damals einige Zeit als vermißt galt, hatte ihm sein Freund Ludwig Uhland, der ihn für tot hielt, einen poetischen Nachruf in Gestalt eines Liedes gewidmet, das seither zu den bekanntesten der Deutschen gehört und auch heute noch in seiner instrumentalen Fassung zu jeder militärischen Totenehrung gehört: »Ich hatt’ einen Kameraden, einen bessern findst du nit.« Friedrich Silcher schrieb ihm 1827 die einprägsame Melodie. Sie verlieh den schlichten Strophen den Ton, ohne den es vielleicht nicht zum Volkslied geworden wäre. Auch dieses Mal hoffte Harpprecht davonzukommen, vorerst vor allem die extremen Marschbedingungen zu überstehen.
    »Der humane Major von Immhof«, so Regimentsarzt Groß, »rief bei jedem Sterbenden und Toten aus: ›Wieder eine Blume auf Napoleons Grab!‹« Denn Napoleon, der über diese Zustände informiert war, zwang seine Grande Armée zu diesen Gewaltmärschen, um die sich

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