Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Verlorenen - Die Soldaten in Napoleons Russlandfeldzug

Die Verlorenen - Die Soldaten in Napoleons Russlandfeldzug

Titel: Die Verlorenen - Die Soldaten in Napoleons Russlandfeldzug Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eckart Klessmann
Vom Netzwerk:
BORODINO
    Die Nacht vom 6. auf den 7. September 1812 war kühl, es fiel ein leichter Regen. Trotz der Dunkelheit war es unruhig im Biwak der Grande Armée . »Die einen setzten ihre Waffen instand, andere brachten das Verbandzeug in Ordnung, manche machten ihr Testament, sorglose Gemüter aber sangen oder schliefen«, berichtet François Bourgogne, Sergeant bei den Jägern zu Fuß der französischen Garde. Um fünf Uhr war alles auf den Beinen; Napoleon ritt durch die Reihen und inspizierte seine Armee, die schon beträchtlich geschrumpft war und selbst am Vorabend einer so großen Schlacht nicht genug zu essen hatte. »Einige Kartoffeln, die wir in dieser Gegend zuerst seit längerer Zeit wieder fanden und die uns ein glücklicher Zufall zugeführt, hatten wir an der Asche der spärlich glühenden Feuer gebraten; sie bildeten unser Frühstück«, schreibt Heinrich von Brandt von der Weichsel-Legion, inzwischen zum Hauptmann befördert. Sergeant-Major Carl Hüne (Voltigeur im 2. westphälischen Infanterie-Regiment) war enttäuscht, als sein Regiment im letzten Augenblick noch eine bescheidene Ration erhielt, ganze 125 Gramm Brot für jeden »und dazu ¹∕₁₆ Quart ( 1 Quart = 1,145 Liter ) Branntwein«. Jede Seite sah die Biwakfeuer des Feindes. An denen der Russen, deren Stimmung ähnlich gedämpft war, saßen aber doch recht gut verpflegte Soldaten, das unterschied sie von der Grande Armée .
    Nichts bezeichnet deutlicher den Unterschied zwischen den sich bekämpfenden Armeen als der Beginn der Schlacht. Die Russen hatten den Vorabend mit einer tief religiös geprägten Zeremonie begonnen, die Friedrich von Schubert, Offizier imStab Kutusows, miterlebte: »Bei uns wurde feierlich vor allen Regimentern die Messen gelesen; das wundertätige Muttergottesbild von Smolensk, welches man dem Feinde nicht hatte in die Hände fallen lassen wollen, sondern aus Smolensk mitgenommen hatte, wurde in feierlicher Prozession durch alle Biwaks getragen; die Truppen und Fahnen wurden eingesegnet und mit Weihwasser besprengt, und den ganzen Tag über erschallte Musik und Gesang im ganzen Lager, bis mit dem Zapfenstreich sich alles zur Ruhe begab und alle durch den Schlaf Kräfte zum morgigen Tage zu sammeln suchten – ein Schlaf, der für den achten Teil der Schläfer der letzte sein sollte.«
    Ein diesem vergleichbares Ritual gab es in der Grande Armée nicht. Den Soldaten wurde vor Beginn der Schlacht ein knapper Tagesbefehl Napoleons vorgelesen, übersetzt in die Sprachen der hier versammelten Kontingente: »Soldaten! Die Schlacht liegt vor euch, die ihr so lange ersehnt habt. Von euch hängt nun der Sieg ab. Er ist uns nötig; er wird uns Überfluß und gute Winterquartiere und schnelle Rückkehr in unser Vaterland gewähren. Haltet euch wie zu Austerlitz, Friedland, Witebsk und Smolensk, und möge die späteste Nachwelt euer Betragen an diesem Tage rühmen, möge man von euch sagen: Auch er war bei der großen Schlacht unter den Mauern von Moskau.«
    Regimentsarzt Heinrich von Roos vernahm diese Sätze in der frischen Morgendämmerung. »Es war noch sehr früh, alles noch ruhig, die Sonne hatte sich noch nicht erhoben. Man befahl abzusitzen. Der kalte Morgen nötigte unsere Soldaten, Gesträuche von nahen Wacholderbüschen abzuhauen und Feuer anzumachen. Der Rauch davon stieg in gerade Richtung himmelan, woraus wir scherzend auf günstigen Erfolg des Tages schlossen.« Der polnische Oberstleutnant Dezydery Baron Chłapowski, der zum Stab Napoleons gehörte, ließ sich von Musik wecken, die im Morgengrauen des 7. September einsetzte, als alle Musikkapellen der Armee zum Wecken spielten,»vom rechten Flügel an, ein Regiment nach dem andern. Man wählte die schönsten Stücke, denn Musik hebt sehr die Stimmung zum Kampfe.« Auch Wachtmeister Benedikt Peter vom württembergischen Regiment »König« der berittenen Jäger erinnert sich an »ein schönes Alpenlied«, das die Musik der französischen Garde spielte: »Dies brachte in der Mannschaft eine gute Stimmung hervor.«
    Wann in der Frühe des 7. September – über dem Schlachtfeld lag Nebel – der erste Schuß abgefeuert wurde und von wem, ist nicht genau überliefert. Die Angaben beider Seiten nennen unterschiedlich 6 oder 7 Uhr. Die erste Salve feuerte offenbar die französische Artillerie und dies mit einigem Erfolg, wie Kutusows Adjutant Alexander Michailowsky-Danilewsky sich erinnert: »Die erste Kanonenkugel, abgefeuert von den feindlichen Batterien, zielte auf das

Weitere Kostenlose Bücher