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Die Verlorenen - Die Soldaten in Napoleons Russlandfeldzug

Die Verlorenen - Die Soldaten in Napoleons Russlandfeldzug

Titel: Die Verlorenen - Die Soldaten in Napoleons Russlandfeldzug Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eckart Klessmann
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Garnison wie Danzig die Versorgung und die Gesundheit der Soldaten zu wünschen übrigläßt.
    Der Vormarsch der Grande Armée in Richtung Moskau ging ungehindert weiter. Als Glinzing diesen Brief schrieb, war das von den Russen bereits angezündete Dorogobusch, eine 8000 Einwohner zählende, von ihren Bürgern verlassene Stadt, am 25. August besetzt worden; vier Tage später wurde Wjasma und am 1. September Gschatsk erobert. Die Soldaten litten auf dem Marsch unter der schier unerträgliche Hitze. »Bliebe mir die Wahl zwischen 6–8 Grad Kälte ohne Wind, ich würde diese zu allen militärischen Operationen, selbst zum Biwak, einem Staube vorziehen, wie wir ihn fast täglich seit unserem Abmarsch von Smolensk hatten«, schreibt Oberleutnantvon Brandt vom 1. Armeekorps. »Nehmen wir hierzu noch den beinahe regelmäßigen Mangel an Wasser, die höchst dürftige Verpflegung, die aus Grütze, ab und zu aus Fleisch von abgetriebenem Vieh bestand, so wird man sich ungefähr – ich sage nur ungefähr – eine Vorstellung von unseren Leiden machen. Brot war eine Seltenheit und wurde durch Getreide, das man abgebrüht, ersetzt.« Das Tagebuch des Leutnants von Martens bestätigt diesen Eindruck: »Auf der großen Heerstraße drängten sich die unabsehbaren Kolonnen und wühlten den feinen Staub so auf, daß die Sonne wieder entfärbt wurde, wiewohl sie glühend am wolkenleeren Himmel schien, wobei der quälende Durst nicht einmal mit Sumpfwasser gestillt werden konnte.«
    Diese Qualen beschreibt auch Oberleutnant Gieße: »Der durchglühte Flugsand bildete in den gedrängten Kolonnen unaufhörliche Wirbelwolken von Staub, welcher in alle Poren drang und die Atmosphäre so verfinsterte, daß man den Allernächsten in Reih und Glied nicht erkannte. Luftverpestende Kadaver, hinterlassene Armatur- und Rüstungsstücke, destruiertes Fuhrwesen, aufgegebene Bagage und Effekten, zerstörte Brücken, niedergebrannte oder noch in Flammen stehende Städte, Flecken und Dörfer von ihren Bewohnern verlassene, verheerte, durch Roß und Mann zertretene Saatfelder, die die Freude und der Segen ihres Bebauers gewesen, alle diese Bilder und Schrecknisse des Krieges traten dann klar vor die Augen, wenn nach einem etwaigen Halt jener aufgeregte Staub sich legte.« Die überall gegenwärtigen Brände verdüsterten zusätzlich den Himmel. Armand de Caulaincourt hatte beobachtet, wie sorgfältig die Russen die Brandstiftung von Wjasma vorbereiteten. Sein Bruder, der Kavalleriegeneral Augustin Marquis de Caulaincourt, hatte das zu verhindern versucht: »Er sah, wie die Kosaken leichtentzündliches Material in Brand setzten, und fand solches an verschiedenen Orten, wo denn auch die Feuersbrunst sich bereits zeigte, noch bevor die letzten Kosaken die Stadt geräumt hatten.«Mit dem Voranschreiten des Krieges schmolz auch die Geschlossenheit und Disziplin der russischen Armee, was den Zaren dazu bewog, den britischen General Sir Robert Wilson ins Hauptquartier zu schicken, gleichsam als neutralen Beobachter. Es war eine sinnvolle Entscheidung, denn Sir Robert lieferte ihm nüchterne Informationen über die oft uneinige, rivalisierende Generalität, die sich in Partikularinteressen verstrickte, was sich auch auf die Stimmung in der russischen Armee auswirkte. Es war auch Wilson gewesen, der dem Zaren den Wunsch der Generale nach einem neuen, russischstämmigen Oberbefehlshaber überbracht hatte.
    Der russische Leutnant Boris Uxkull notiert am 20. August in sein Tagebuch: »Wir sind auf der Chaussee nach Moskau und Dorogobusch, und die Franzosen, die Herren von Smolensk sind, verfolgen uns mit ebensoviel Schnelligkeit wie Glück. – Wir haben nicht einmal Zeit, uns auszuruhen. Wir müssen oft unser Mittagessen stehenlassen, um zu fliehen, welche Lage!« Und einen Tag später: »Wir laufen wie die Hasen. So etwas wie ein panischer Schrecken hat sich aller bemächtigt. Der Mut ist verschwunden, und unser Marsch gleicht einer Trauerprozession. Mein Herz zieht sich vor Schmerz zusammen. Wir überlassen alle diese reichen Gegenden der Wut des Feindes, der, wie man sagt, in seiner Grausamkeit nichts schont.« Es sei »unmöglich, sich die Greueltaten vorzustellen, die man sich hier über die Franzosen erzählt«, notiert er am Tag darauf. »Es heißt, daß sie die Kirchen verbrennen und schänden, daß sie Einwohner, die in ihre Hände fallen, verstümmeln und zur Befriedigung ihrer infernalischen Lüste gebrauchen. Kinder oder Greise, ganz gleichgültig,

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